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Die Castor-GemeindeGepflegte Eigenheime, umgeben von Vorgärten und Weiden. Doch das Eisenbahngleis am Rand von Ahaus führt ... in Deutschlands größtes Atommüll-Lager - mit dem Segen fast aller Bürger. Eine Reportage von Olaf Preuß.
Wie er so durch das Rathaus läuft, erinnert Jünemann an Giulio Andreotti, jenen Allmächtigen der italienischen Nachkriegspolitik, der schließlich an einer Überdosis Macht scheiterte. Gedrungene Gestalt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, gemessener Gang, knarzende Stimme. Er selbst fühlt sich "preussisch erzogen", und das heißt für den obersten Beamten der Stadt vor allem Prinzipientreue. Christdemokrat Jünemann steht fest zur Atomkraft. Das trifft sich gut mit der Finanzlage seiner Gemeinde. In Ahaus herrscht Ruhe, was der Stadtdirektor nicht zuletzt Millionenzuwendungen der Atomwirtschaft verdankt. Im Stadtrat und in der örtlichen Bürgerinitiative wettern seine Gegner seit Jahren gegen das Zwischenlager. Öffentlich sehnen sie Gorlebener Verhältnisse herbei, entsetzt darüber, daß die große Mehrheit der Ahauser den Atommüll schweigend entgegennimmt. Doch die schwachbrüstige Opposition muß der Stadtdirektor, seit mehr als 23 Jahren im Amt, nicht fürchten. Jünemann selbst ist die Stimme des Volkes. Wenn er in der Mittagspause das Rathaus verläßt, tritt er in eine schmucke Fußgängerzone, in der sich Cafébesucher über gewaltige Eisbecher beugen, Geschäftsleute über ansehnliche Umsätze freuen und Touristen über die restaurierte Schloßfassade. Passanten grüßen ihn freundlich, und deshalb saugt Jünemann mit den Sonnenstrahlen auch Selbstbestätigung ein: Weil er Ahaus wieder flottgemacht hat nach dem Zusammenbruch der regionalen Textilindustrie. Weil seine CDU die absolute Mehrheit hält in der 33.000-Einwohner-Stadt. Neue Unternehmen kamen in seiner Amtszeit nach Ahaus und viele junge Ehepaare, die ihre Kinder nun im Schutz ziegelroter Hausfassaden und akkurat gestutzter Vorgärten aufziehen, weit weg vom Lärm und Dreck der Großstadt. "Wir hatten in den vergangenen 15 Jahren mit Abstand die beste Entwicklung im ganzen Landkreis. Bei den Grundstücken kommen wir gar nicht so schnell nach, wie die Leute bauen wollen", erzählt Jünemann zufrieden. Mit dem Vorwurf, er habe der Atomwirtschaft Tür und Tor geöffnet, kann der Stadtdirektor gut leben. Schließlich brachte das Zwischenlager für Brennelemente, 1989 fertiggestellt, der Stadt zig Millionen Mark "Strukturhilfe" von der Landesregierung und der Atomwirtschaft (siehe auch Chronik auf Seite 19). Vor drei Jahren machte Jünemann das lukrativste Geschäft der Stadtgeschichte. Er handelte aus, daß die "Brennelement Zwischenlager Ahaus GmbH" (BZA) demnächst eine weitere Lagerhalle bauen darf und dafür 160 Millionen Mark in die Rathauskasse zahlt soviel wie ein städtischer Jahreshaushalt. Während seine Gegner von "Judaslohn" sprechen, sieht Atomfreund Jünemann darin einen Beweis für Prinzipientreue: "Wir Westfalen fallen nicht so schnell um. Die Industrie weiß, daß sie sich auf Ahaus verlassen kann." Die Verträge mit der BZA stehen. Und das Zwischenlager erst recht. Es fügt sich perfekt in die sattgrüne Beschaulichkeit des Ahauser Umlandes. Zwei Wildgehege lenken die Aufmerksamkeit der Passanten weg von den Verwaltungsgebäuden und der Lagerhalle im Hintergrund. Auf den ersten Blick scheint es, als bewachten allein die drei Wisente aus dem ehemaligen Jagdrevier Erich Honeckers und die drei Przewalski-Urwildpferde die 1500 Tonnen Atommüll, die zur Zeit im Lager stehen. Verstärkt werden die seltenen Zuchttiere allerdings von zwei Dutzend Wachleuten, doppeltem Sicherheitszaun und Überwachungskameras. Doch Ahaus ist nicht Gorleben; das fahrende Volk der Anti-Atomkraft-Bewegung interessiert sich nicht für das westfälische Zwischenlager. Bislang kam noch niemand auf die Idee, das zoologische Bollwerk vor der Lagerhalle zu stürmen, um auf der Pferde- oder Wisentkoppel ein Hüttendorf zu errichten. Heimelig wirkt der Atomkomplex im Stadtteil Ammeln, einen halbstündigen Spaziergang von der Fußgängerzone entfernt. So friedlich, daß die Stute "Ulania" vor einigen Monaten in aller Ruhe ein Fohlen zur Welt bringen konnte. Michael Ziegler hat viel Zeit für seine Gäste. Gut 6000 Besucher jährlich Schüler, Kirchengruppen, Politiker, Techniker informieren sich beim Sprecher der BZA über das Schicksal ausgedienter Atombrennstäbe. Besonders interessierte Gäste führt der graugelockte Hesse auch in die Lagerhalle aus nacktem Stahlbeton. Wie riesige Bauklötze stehen an der Rückwand des linken Traktes 305 signalgelbe Stahlcontainer, je 28 Tonnen schwer, Castor-Behälter vom Typ "THTR", die den Brennstoff des stillgelegten Hochtemperaturreaktors in Hamm-Uentrop sicher verwahren sollen. Zwischen Sommer 1992 und Frühjahr 1995 rollten 57 Transporte über das Industriegleis der BZA vom Bahnhof Ahaus direkt in die Halle, von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt. Die kleinen gelben Castoren sind zweifach gestapelt. Das spart Platz, denn in den nächsten Jahren kommen noch etliche größere Behälter mit den Brennstäben aus deutschen Atomkraftwerken und Forschungsreaktoren dazu. In einem Wohnhaus messen sie wahrscheinlich mehr radioaktive Strahlung als hier", lobt Ziegler die Sicherheit der Behälter. Ein Jagdbomber donnert im Tiefflug über die Halle, die für Piloten ein "beliebter Orientierungspunkt" im schollenflachen Münsterland ist, wie der BZA-Mann weiß. Beim Verlassen der Halle meldet die Maschinenstimme an der Sicherheitsschleuse "keine Kontamination". Draußen scheint die Sonne, und Ziegler, ein Gemütsmensch mit Humor, gönnt sich einen Scherz über Radioaktivität. "Da sehen sie unsere Mutanten", zeigt er auf die Wildenten, die sich im Sicherheitsbereich niedergelassen haben und die Idylle um das Lager abrunden. "Natürlich gibt es in Ahaus Widerstand gegen das Zwischenlager", erklärt er zum Abschied. "Aber deshalb muß man ja nicht menschlich aneinandergeraten." Auf dem benachbarten Bauernhof freut sich Hermann Lenting über das sonnige, trockene Wetter ideale Bedingungen für die Getreideernte. Güllegeruch liegt in der Luft. Wer sich neben den Misthaufen stellt, sieht von dort direkt auf die Lüftungsschächte des 300 Meter entfernten Zwischenlagers. Seit zwölf Jahren klagt der Bauer gegen die Bau- und die Betriebsgenehmigung. Der Baustopp des Oberverwaltungsgerichtes Münster, der von 1985 bis 1988 galt, kostete die BZA über zehn Millionen Mark. Aber mit Treckern gegen Atommüll demonstrieren, Transparente durch die aufgeräumte Fußgängerzone tragen, das war nie Hermann Lentings Stil. "Der Bauernverband hat uns damals abgeraten, bei Demonstrationen mitzumachen", erklärt er knapp und saugt am Zigarillo. "Wer so einen Hof führt, der riskiert ja auch Kapital." Mit seiner Familie bewirtschaftet Lenting 30 Hektar Land, "mittelmäßiger Boden, viel Sand, kaum Lehm". Der Stammbaum, der die Familie als Eigentümer ausweist, reicht zurück bis 1600, und damit der stattliche Hof auch in Zeiten harter Konkurrenz sein eigen bleibt, achtet der kleine Bauer mit dem durchdringenden Blick auf seinen wirtschaftlichen Vorteil. Pragmatisch, wie er nun mal denkt, konnte er vor einigen Jahren ein Angebot seiner reichen Nachbarn nicht ausschlagen. Einen schmalen Streifen Land begehrte die BZA von Lenting, die Trennlinie zwischen seinem Grundstück und ihrem, um darauf eines Tages die Zufahrt für die zweite Lagerhalle zu bauen. Lenting machte ein gutes Geschäft, als er 1994 die gewünschten 5000 Quadratmeter Land gegen die fünffache Fläche tauschte. Der Kontakt zur Bürgerinitiative "Kein Atommüll nach Ahaus!" ist seither deutlich gestört. Michael Ziegler hingegen nennt ihn einen "guten Nachbarn" und versteht, daß der Bauer vor Gericht weiterhin "für seine Interessen eintritt", bis die endgültige Betriebsgenehmigung für das Lager von allen Instanzen bestätigt ist. Sein Mißtrauen gegen den Filz von BZA und Rathaus hat Lenting jedoch nicht mitverkauft. "Ich trau' dem Jünemann nicht. Man weiß nie, was da noch alles kommt." Plutonium zum Beispiel. Ausgerechnet mit Plutonium muß sich der Stadtrat von Ahaus befassen, gleich in der ersten Sitzung nach den Sommerferien. Es geht um Atombomben, um Terroristen und die Verantwortung der Bundesregierung. Pläne der "Schnellen Brüter Kernkraftwerksgesellschaft", 205 plutoniumhaltige Brennelemente aus Hanau nach Ahaus zu überführen, haben die Ratsdamen und -herren aufgeschreckt. Selbst in Ahaus fürchtet man finstere Typen, die im Auftrag Libyens, des Irans oder des BND nachts in Atomdepots steigen und ein Köfferchen voll Plutonium abzweigen der begehrte Stoff für die Bombe. Die SPD ist dagegen, daß das Zeug nach Ahaus kommt, auch die CDU und sogar Heinz-Robert Jünemann, bei aller Liebe für die Atomwirtschaft. Zu gefährlich, keine Sicherung gegen Terroristen am Ort. Gott sei Dank steht nichts von "fabrikneuen Brennelementen" im Ansiedlungsvertrag mit der BZA. Zügig könnten also alle drei Fraktionen gemeinsam gegen den Plutonium-Transfer votieren, wären die Stadträte der "Unabhängigen Wählergruppe" (UWG) und ihr Vorsitzender Manfred Lück nicht schon wieder so penetrant bockig. "Wir schließen uns von diesem Lager aus", bellt Lück Richtung CDU und SPD. "Gorleben leistet Widerstand, und der ganze Dreck kommt nach Ahaus!" Natürlich ist auch Manfred Lück gegen das Plutonium aus Hanau die Atomwirtschaft insgesamt geht ihm gegen den Strich. Aber mit der CDU "diese Scheinheiligkeit!" und der SPD "dieser profillose Haufen!"- mag er an diesem Abend nicht stimmen. Da ist zuviel Wut über vergangene Niederlagen, zuviel Enttäuschung, daß sich die Atomwirtschaft überhaupt in Ahaus niederlassen konnte: "Die Stadt wird die Geister, die sie gerufen hat, nicht mehr los!" Der Stadt scheint das egal zu sein. Wie so oft, dringt auch diesmal kaum etwas über den Streit ums Zwischenlager aus dem fensterlosen Ratssaal nach draußen. Ein Bericht tags darauf in der "Münsterland Zeitung", Lokalseite Ahaus, eine Meldung in Lokalradio und -fernsehen kein Anlaß für öffentliche Erregung. Aus Dannenberg bei Gorleben hingegen melden die überregionalen Zeitungen am selben Tag: "Castor-Gegner bringen Zug zum Entgleisen" die routinierte Vorbereitung für den nächsten geplanten Atomtransport nach Gorleben im November. Beim Abendessen sitzt Manfred Lück mit seiner Frau vor dem Schloßhotel am Rand der Fußgängerzone. Regenwolken ziehen auf, aber Lück möchte trotzdem gerne draußen bleiben, die laue Sommerluft genießen und die schlechte Akustik, wegen der vielen Neugierigen. "Bei den Alteingesessenen in Ahaus gibt es einen Spruch: ,Wer gegen den Wind pinkelt, macht sich naß'", erzählt er und behält die Leute rundherum aufmerksam im Blick. "Wenn die Zugezogenen nicht wären, gäbe es überhaupt keinen Widerstand gegen das Zwischenlager." Der Mann aus Wuppertal, der sich nach 20 Jahren in Ahaus noch immer als "Zugezogener" fühlt, lobt sich damit auch selbst; er braucht diesen Ansporn immer, wenn er sich fragt, wofür der ganze Streit am Ende gut war. Als Lück und seine Frau Gundi Mitte der 70er Jahre nach Ahaus zogen, wollte Heinz-Robert Jünemann die Stadt gerade zu einem Zentrum der Atomindustrie machen. Ahaus hatte sich um die Ansiedlung einer Brennelementfabrik und einer Urananreicherungsanlage beworben. Die Brennelementfabrik kam nach Lingen in Niedersachsen, die Urananreicherungsanlage ins nahe Gronau. Für Ahaus blieb das Zwischenlager. Gegen das Lager, aber auch "gegen den politischen Filz in Stadtrat und Stadtverwaltung" gründete der Betriebswirt Lück 1979 die "Unabhängige Wählergruppe". Bei den Kommunalwahlen im selben Jahr holte die UWG, die in der Ahauser Stadtpolitik die Rolle der Grünen spielte, spektakulär ein Viertel der Stimmen und beendete damit die CDU-Mehrheiten jenseits der 60-Prozent-Marke. Doch die Wahlergebnisse bröckelten wieder. Die Schlachten um den Atomstandort Deutschland wurden woanders geschlagen und beschrieben, gefilmt und fotografiert: in Brokdorf, Wackersdorf oder Gorleben. Nicht einmal die schweigende Mehrheit in der eigenen Stadt konnten die Unabhängigen wachrütteln. "Auf die Straße gehen, Flagge zeigen, sowas tut man nicht in Ahaus!" erregt sich Lück, doch er nimmt seine Stimme gleich wieder zurück. Wegen der hellhörigen Kellnerin am Nachbartisch. August Werning kennt diese ortstypische Unlust, sich öffentlich aufzuregen, gut. Privat, die krumme Pfeife zwischen den Zähnen, macht der Pfarrer der katholischen Stadtgemeinde St. Josef einen streitbaren Eindruck. Schnell landet der Mittfünfziger mit den grauen Stoppelhaaren und dem sympathischen Lispeln bei der Politik. Beruflich dagegen würde er ein Thema wie die Atomkraft nie ansprechen, schon gar nicht in der Kirche. "Ein Pfarrer, der im Gottesdienst Stellung gegen das Zwischenlager bezieht, bekäme schnell Gegenwind." Druck, da ist Werning sicher, machten nicht nur die Kirchenherren seines Bistums. Auch die Gläubigen würden politische Fürsorge nicht sehr schätzen. Mehr als 90 Prozent Katholiken zählt die Region. "Die gehen nicht so gerne auf die Straße", weiß der Pfarrer. "Würde ich am Zwischenlager im Talar einen Gottesdienst halten, wäre das für die Gemeinde, vorsichtig gesagt, ein Ärgernis." Mit Hoffnung und Handzetteln kämpft die Bürgerinitiative "Kein Atommüll nach Ahaus!" gegen die Große Koalition von Glaube, Geldbeutel und Gefälligkeit. Drei Tage nach der Sitzung im Stadtrat trifft sich der wöchentliche Stammtisch im Hinterzimmer der Gaststätte "Zur alten Post". Zehn Aktive zählt die BI "und ungefähr 100 Sympathisanten", deren Protest sich nicht darauf beschränkt, bei der Kommunalwahl für die UWG zu stimmen. Nächstes Jahr feiert die Initiative ihren 20.Geburtstag. Seit Jahren mahnen der Vorsitzende, Gymnasiallehrer Hartmut Liebermann, und seine Mitstreiter, daß die BZA mittels "Salamitaktik" die Kapazität des "Endlos-Zwischenlagers" Zug um Zug erweitert; daß Ahaus für die Atomlobby so wichtig ist wie Gorleben, weil beide Lager als "Entsorgungsnachweis" den Betrieb der deutschen Atomkraftwerke sicherstellen. Aber als es dann wirklich passierte, am 25. Juni 1992, da waren gerade mal 40 Ahauser auf den Beinen. Der erste Castor-Transport nach Ahaus erreichte den Bahnhof am Vormittag. Die Polizei erschien mit einem Hubschrauber und drei Hundertschaften, mit einer lähmenden Überlegenheit, wie bei jeder Anti-Atom-Demonstration in der Stadt. "Wir wollten wenigstens von den Gleisen getragen werden", erinnert sich einer am Stammtisch was die Polizei binnen Minuten erledigte. Von den meisten der folgenden 56 Transporte erfuhr die BI erst nach Lieferung. Daß Ahaus eines Tages doch noch zum Brennpunkt des Widerstandes wird, spätestens dann, wenn die nächsten Castoren rollen, das hoffen am Stammtisch "Zur alten Post" zwar alle, aber glauben mag es niemand. Dafür müßte schon ein Wunder über die Stadt kommen, in der man nur ein einziges Zeichen des Protestes findet. Am Straßengraben neben dem Zwischenlager stehen zwei wacklige Holzschilder. Auf dem vorderen ist zu lesen: "Den Atommüll in Ahaus verdanken wir dem unermüdlichen Einsatz von Stadtdirektor Dr. Jünemann". Hermann Lenting, der geschäftstüchtige Nachbar des Lagers, hat der Bürgerintiative erlaubt, die Schilder auf seinem Grundstück aufzustellen. © Greenpeace Magazin |