Seltsames Finnland oder das Geheimnis der sozialen Disparität

Seltsames Finnland oder das Geheimnis der sozialen Disparität

Zusammenfassung: Zwei absolut plausible Hypothesen, nämlich daß Lesekompetenz und Leselust in direktem Zusammenhang stehen sollten, und daß ein Schulsystem, das soziale Disparitäten auf sozioökonomischem Sektor ausgleicht, zugleich auch die geschlechtspezifischen Disparitäten minimieren sollte, werden durch die PISA-Tabellen widerlegt. Dies lässt insgesamt starke Zweifel an der Erklärungskraft der PISA-Zahlen aufkommen.

Glaubt man der PISA-Studie, dann liegt das Bildungsschlaraffenland im Nordosten Europas. Die finnischen Gesamtschulen schaffen mit wenigen Schulstunden und kaum Hausaufgabenstress eine PISA-Spitzenleistung - und diese geht, das wird immer wieder betont, nicht etwa zu Lasten schwächerer Gruppen, ganz im Gegenteil: Die soziale Disparität führt in Finnland in wesentlich geringerem Umfang zu entsprechenden Auswirkungen auf die Schulleistung als im OECD-Durchschnitt, das wird an meherern Stellen in der Studie betont, z.B. hier:

Die Quadratur des Kreises also? Auch die Tabelle über die Auswirkung sozialer Disparität im Schulbackground zeigt ähnliches, Finnland am Ende der Disparitätstabelle:

Wundersames finnisches Schulsystem? Nun, wenn Sie als soziale Disparität auch z.B. die Benachteiligung von Frauen verstehen, die ja immer noch und praktisch überall auf der Welt für diesselbe Arbeit geringere Löhne beziehen, dann hat PISA schlechte Nachrichten für Sie:

Finnland ist unter den OECD-Staaten das Land mit der höchsten Geschlechterdisparität: Nirgendwo in der OECD sind die Mädels besser als die Jungen, 53 Punkte oder 2/3 Kompetenzstufen liegen die finnischen Boys hinter den Girls zurück:

Aber die richtig schlechten Nachrichten kommen erst jetzt:

Dieses Ergebnis widerspricht nicht nur den (angeblichen) Wunderheilkräften des finnischen Schulsystems, es korelliert auch mit keiner anderen Tabelle in der PISA-Studie. Vor allem nicht mit den PISA-Leistungen: Lettland mit sehr schwachem PISA-Wert hat sogar 54 Punkte Abstand zwischen Mädchen und Jungen, Brasilien am selben unteren Ende des PISA-Rankings aber nur 17 Pkte, Grossbritannien mit guten 523 PISA-Punkten gerade mal 26, Korea mit 525 Punkte sogar nur 14, daneben aber wieder Mexico mit seinen 422 PISA-Punkten auch nur 20. Und es korreliert nicht mit Ausländeranteilen, Ausgaben pro Schüler, Bruttosozialprodukt oder sonst irgendeinem wichtigen PISA-Faktor.

Dementsprechend kleinlaut wird das auch in der PISA-Studie kommentiert:

Mehr oder weniger, das ist doch mal eine knackige wissenschaftliche Aussage. An anderer Stelle wird dann auch auf die finnische Besonderheit eingegangen: Nicht die finnischen Jungen seien schlecht, sondern die Mädchen so überdurchschnittlich gut. Und beim *Warum* wird das Leseinteresse ins Spiel gebracht - das nun aber ist ein beonderer Pferdefuss der PISA-Statistik: Gefragt, wieviel sie zum Vergnügen lessen, machten die Schüler höchst unterschiedliche Angaben:

Und wieder korrelieren diese Angaben überhaupt nicht mit der PISA-Leistung: Griechenland mit mageren 474 PISA-Punkten hat neben der russischen Förderation (462 Pkte) die meisten Kinder, die zum Vergnügen 1-2 oder sogar 2 und mehr Stunden täglich lesen! In Österreich, Belgien und Island hingegen, die allesamt respektable 507 PISA-Punkte erreichen, lesen fast 2/3 der Kinder überhaupt nicht oder max 30 Minuten täglich zum Vergnügen. Die Finnen wiederum lesen fast so gerne wie die Griechen etc...

Entgegen jedem plausiblen Verständnis, daß Leseinteresse und von PISA gemessene Lesekompetenz miteinander in Bezug stünden, ist dies überhaupt nicht der Fall, obwohl die PISA-Forscher das trotz gegenteiliger Ergebnisse selbst glauben:

Fazit: Die obengenannten Zahlen lassen insgesamt starke Zweifel an der Validität der PISA-Zahlen aufkommen. Zwei absolut plausible Hypothesen, nämlich daß Lesekompetenz und Leselust in direktem Zusammenhang stehen sollten, und daß ein Schulsystem, das soziale Disparitäten auf sozioökonomischem Sektor ausgleicht, zugleich auch die geschlechtspezifischen Disparitäten minimieren sollte, werden durch die Ergebnisse vollkommen widerlegt, die Zusammenhänge in den Tabellen sind de facto rein stochastischer Natur. Wenn das aber so ist, sind dann nicht alle gefundenen PISA-Erklärungen in Zweifel zu ziehen?

Letzten Endes: Mehr Fragen als Antworten - für die PISA-Forscher natürlich ein gutes Ergebnis, denn dann müssen sie ja weitermachen....

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