'Uihh', ich hab jetzt auch Internet', sagte
neulich mein Putzmann (joh, man muß mit der Zeit gehen und die verlangt,
der Gerechtigkeit halber und zum Ausgleich, nach etwas Maskulismus) und schaute
mich erwartungsvoll an. Was er erwartete, weiß ich bis heute nicht.
Vielleicht, daß ich, als EDV-Profi, der immer noch keine E-Mail-Adresse
hat, jetzt vor Gram aus dem Fenster springe. Oder ihn, den Amateur, bewundernd
anschaue. Oder so. Mir aber war anders zumute: 'Und?', fragte ich zurück,
'Wie isses'? ' Äähhm, also, das ist wie Kabelfernseh'n mit 136
Kanälen, und Du bist nur am rumzappen', war die ehrliche Antwort. 'Ja,
was hast Du denn gesehen?', fragte ich zurück. 'Naja, eben schaust Du
noch, was in München im Kino läuft, und dann hast Du plötzlich
das Vorlesungsverzeichnis von irgendeiner kleinen Universität im Mittleren
Westen in Amerika auf dem Bildschirm, total interessant!' Wozu man wissen
sollte, daß das Gespräch in Heidelberg stattfand und mein Puma
nicht vorhat, in nächster Zeit nach München oder gar in den mittleren
Westen zu reisen. Genausogut hätte ich mir, virtuell natürlich,
ein Kinoprogramm für München ausdenken können, oder auch den
Stundenplan für die Klein-Uni: Mittwoch 11-13 Uhr: Virtual Reality -
Über den Einfluß der MedienUnwirklichkeit auf die soziokulturelle
Kommunikationsfähigkeit des Individuums. Solange ich nicht wirklich
dort bin, ist es ja nun völlig unerheblich, ob der Plan stimmt oder
nicht.
Samstag drauf klingelte das Telefon. Mein
Ex-Arbeitgeber und Ist-Kollege, ein EDV-Dienstleister und alter Computer-Hase,
klang ziemlich deprimiert, fast verzweifelt. 'Eben war ich zwei Stunden im
Internet, wir haben nämlich jetzt auch eine Homepage, Lorenz, sag' mir
doch bitte, was ich da soll, wofür das gut ist, ich fühl' mich
ganz leer im Kopf! Überall bin ich rumgesaust, aber ich weiß immer
noch nicht, welchen Sinn das Ganze eigentlich hat'. Nach kurzem Disput waren
wir uns sehr einig: eine medienwirksam aufgebauschte Nullnummer, die vom
Steuerzahler, also uns, finanziert wird. Eine Wundertüte für Politiker
und Journalisten, die uns das Internet als Allheilmittel für alle Wehwehchen
verkaufen wollen, unter denen unsere Gesellschaft leidet: Arbeitslosigkeit,
Sinnkrise, kollabierende Märkte und zu allem Überfluß auch
noch Erklärungsnotstände auf allen Ebenen. Dank Internet werden
wir, so versucht man uns zu überzeugen, Millionen neuer Arbeitsplätze
zu Hause schaffen und die Märkte ankurbeln. Bei
Erklärungsnotständen schicken wir Agenten los, kleine
selbstständig arbeitenden Suchprogramme, die werden schon was finden,
und die Sinnkrise wird mit der gigantischen Informationsflut einfach
zugeschüttet. Das alles erinnert mich fatal an die Zeit, als die Atomkraft
zum Wunderheilmittel verklärt wurde. Das ging ja so weit, daß
1959 im Godesberger Programm der SPD das Automobil mit Atomantrieb für
jeden Arbeiter gefordert wurde!
Eine Branchenzeitschrift bittet mich um einen
Fachartikel zu EDV-Systemen. Ausnahmsweise werde ich rechtzeitig fertig.
Nun möchte ich, dem Redakteur zu Gefallen, den Text nicht per Fax oder
Brief versenden - dann müßte dieser ja wieder gesetzt, sprich
abgetippt, werden, sondern elektronisch. Diskette wäre einfach und dauert
einen, allenfalls zwei Tage, aber der Herr Redakteur hat ja neuerdings E-Mail!
Wir einigen uns auf das Text-Format (WinWord), ich packe meine Dateien auf
eine Diskette und begebe mich zu einem Freund mit Internet-Anschluß.
Es dauert nur wenig mehr als eine halbe Stunde, bis wir die 30 kB-Datei an
die kurze Mitteilung, nämlich: daß jetzt eine Winword-Datei kommt,
angehängt und verschickt haben - das Gerede vom Stau auf dem Datenhighway
hat leider einen realen Hintergrund. Und einfach ist es natürlich auch
nicht, denn zuerst mal müssen wir die Datei kodieren (U-Encoding), damit
sie zusammen mit der ASCII-Mitteilung verschickt werden kann. Danach erfreuen
wir uns mal wieder am reibungslosen Zusammenarbeiten verschiedener
Computerkomponenten (5 Abstürze beim Versuch, ein mit dem HP-Drucker-Fax
gescanntes Photo mit 4 verschiedenen Programmen weiterzuverarbeiten) und
hüpfen ein wenig durch's Internet, aber davon später. Ich bringe
die Mühle beim Herumbrausen öfter zum Stillstand, und erfahre dabei
über's Internet, was ich schon immer geahnt habe - auch davon später.
Am nächsten Tag ruft mich der Herr Redakteur an: Die Mitteilung ist
angekommen, prima, aber leider kann er den kryptischen Kram hintendran (die
U-kodierte Word-Datei) überhaupt nicht lesen. Er geht über T-Online
rein, aber ob sein Browser über einen U-Decoder verfügt, weiß
er nicht, und auch nicht, wie er's rauskriegen soll. Das verstehe ich - gerade
als EDV-Profi - sehr gut. Also tüte ich meine Diskette ein und schicke
sie ihm per 'Schnecken'post. Es dauert einen Tag, aber es klappt!
Für 9 von 10 Anwendern ist das Internet
ein Spielzeug, die virtuell endlose Fortsetzung der Computerspielerei, die
ja schon immer die Fortsetzung des präpubertären
Modelleisenbahnspielens für Erwachsene war. Haben Sie sich schon mal
gewundert, daß ihre Freunde stundenlang vor'm Monitor... wetten, daß
die genauso enthusiastische Modelleisenbahner sein könnten? Für
Ehen oder andere Paarbeziehungen ist beides gleich schädlich - wobei
ein Computer allerdings erheblich weniger Platz braucht als eine Modellbahn.
Und natürlich den Vorteil hat, daß man das Kindisch-Spielerische
daran nicht sofort erkennt - gilt er doch als ernsthaftes Werkzeug und nicht
als reine Unterhaltungskiste für Leute, die anders nicht mehr kommunizieren
können. Und die ihr Selbstwertgefühl daraus gewinnen. daß
es ihnen gelungen ist, völlig überflüssige, aber dafür
hochauflösende, geographische Karten in Megabytegröße über
den Rechner in Sri Lanka doppelt so schnell runterzuladen, wie über
London! Und die glücklich sind, wenn sie einem alles über U-Decoding
erzählen dürfen.
Noch nie konnten Nachrichten schneller verbreitet
werden, als über´s Internet. Journalisten müssten deshalb,
schon von Berufs wegen, vor Begeisterung besoffen sein - und die meisten
sind es auch, könnte man meinen. Vielleicht aber schweigen die anderen
nur, weil sie zwar ahnen, daß das Internet ein riesiger Medienschwindel
ist, sich aber zu wenig auskennen und sich deshalb nicht trauen, ihre Meinung
öffentlich zu äußern. Wenn sie nur mal 'reinsähen, sie
würden ihre tiefsten Befürchtungen bestätigt sehen:
KÖLN: Allgemeines / Kultur / Stadtinfo
... Ich entscheide mich für Allgemeines. Während ich die Liste
der Einträge runterbrause - das sieht aus hier wie ein Branchenverzeichnis
- bleibe ich am Wort CHAOS hängen. Da gibt es eine Gruppe Chaosforscher,
und die residieren in diversen Universitätsinstituten, aha. Was sie
so genau machen, steht da nicht, aber einer der Aktivisten heißt Alfred
Algenwald und man kann ihn anklicken. Und schon kriegt man seine Homepage.
Da steht, wie alt er ist, was er schon alles geforscht und publiziert hat,
mit wem er enger zusammenarbeitet und auch, was - über das Chaos hinaus
- seine Vorlieben sind: Unter Musik stehen Komponisten, die mir völlig
unbekannt sind, aber sehr avantgardistisch klingen: Heinar E.-B.
Muller-Rasinovich etc. pp, ich fühle mich mal wieder ungebildet und
lese schnell weiter. Unter 'Interesse' - früher nannte man das Hobby
- finde ich den Eintrag: Kinetische Kunst (zusammen mit Hans Hühnerbein
in Hamburg). Oh je, schon wieder einer, der mir, nur mühsam kaschiert,
seine Einmaligkeit unter die Nase reibt, mir klarmacht, daß er a) ein
umfassend gebildeter Mensch, b) nonkonformistischer Zeitgenosse und c) selbst
praktizierender Künstler ist, was er uns - völlig unaufdringlich
- durch das 'zusammen mit ...' unterjubelt.
Ich klicke auf 'Bild', warte brav meine
Internet-Gedenk-Minuten ab - und habe genau das pickelige Milchbubigesicht
vor mir, das unweigerlich in meinen schlimmsten Steuerzahleralbträumen
auftaucht und mit Unschuldsmiene meine sauer verdienten Taler zum Fenster
rauswirft. Fakt ist: Ich zahle via Bafög und Wissenschaftsförderung
Herrn Algenwalds esoterische Forschungen, na gut. Ich zahle, ebenfalls mit
meinen Steuergeldern, auch das (ehemals rein wissenschaftlich genutzte) Internet.
Und natürlich den Unirechner, auf dem Herr Algenwald seine Homepage
installiert hat. Nur um lesen zu müssen, daß er vermeint, ein
Kinetischer Künstler zu sein (bin ich auch - haben Sie mich neulich
bei Glatteis gesehen?).
Das alles erinnert mich stark an die 80er
Jahre, als wir mit Home-Computern, dem Commodore 64 oder dem Schneider CPC,
und Akustikkopplern, die man über den Telefonhörer stülpte,
Mailboxen betrieben und benutzt haben. Was es damals gab, gibt´s heute
noch genauso, nur viel bunter: Jede Menge Fachsimpelei, vor allem über
Computerprobleme (die wir ohne Computer nicht hätten), Fragen und Antworten,
wie man am besten von A nach B kommt (damals zum Beispiel, wie man Verbindung
zur 1st National Bank in Chicago aufnimmt, und zwar umsonst) und - teilweise
schmierige - Bildchen. Nach einem halben Jahr 'Surfen' in dutzenden Mailboxen
in Deutschland und Amerika wurde es mir langweilig, und daran hat sich
prinzipiell nichts geändert.
Ich habe dann noch das Kölner Kino-Programm
angeschaut, nur mal so. Es wäre schneller gewesen, die Kino-Ansage
abzuhören. Dann wollte ich noch sehen, ob ich endlich den alten Film
mit Trevor Howard in der Hauptrolle finden kann, den ich vor Jahren mal gesehen
habe, aber das Verzeichnis der 'actors/actresses' auf dem Rechner in Hollywood
kennt keinen Trevor Howard, ist ja auch ein Brite... Und beim Hochladen von
Bildern ist mir dann auch noch die Mühle abgekackt, es reicht. Das Internet
ist ein Spielplatz für Info-Süchtige, Egomanen und Quasselstrippen,
ein bißchen wie damals - erinnern Sie sich noch? - der CB-Funk.
Und dabei gibt es zwei 'Verdienste' des Netzes,
für die wir einmal dankbar sein werden: Das ist zum einen HTMLx, die
weltumspannende, gemeinsame Dokumenten-Layout-Sprache. Im Jahr 2000&x
werden alle Text-, Tabellen-, Graphik- und Layoutprogramme HTML lesen und
schreiben können, und wir können endlich ohne Probleme Dokumente
austauschen und weiterverarbeiten, sogar zwischen verschiedenen Rechnerwelten,
und ohne, daß Bill Gates uns dazwischenfunkt. Und zum anderen die
allgemeine, gleiche, gemeinsame Mailbox für Faxe, Daten, Dokumente.
Anders als beim PapierFax ist dort nie besetzt und Nachrichten werden solange
aufgehoben, bis sie gelesen werden, d.h. ich entscheide, wann ich meinen
Rechner an- und damit den Postkasten aufmache. Und neben Texten, die, anders
als beim PapierFax, dann auch weiterverarbeitbar sind, kann ich Bilder, Daten
und Programme schicken - wenn die BROWSER so funktionieren, daß auch
Laien damit umgehen können. Denn das muß erst noch geleistet werden:
eine simple, einheitliche Zugangssoftware nach dem Motto: What do you want
to do today? Während man früher wissen mußte, ob zwischen
Compuserve und MCI-Mail oder dem GEO-Netz ein Übergang möglich
war, und vor allem wie, hängen wir morgen, egal über welchen Zugang,
alle gemeinsam im Internet. Und wenn ich tatsächlich mal den Busfahrplan
oder eine Zugauskunft brauche, dann könnte das über's Internet
möglicherweise bequem zu ermitteln sein... zu Gunsten der Deutschen
Telekom natürlich, oder hat irgendjemand noch nicht kapiert, weshalb
die Tarife ganz plötzlich so umstrukturiert wurden? Eines aber wird
es sicher auch in Zukunft nicht geben: Wirklich wertvolle Informationen umsonst!
Warum sollte man verschenken, was man auch verkaufen kann?
II: Didi
III: Hoffnung, Ernüchterung, Enttäuschung
IV: Infomanie
V: Besoffene und die schnöde Wirklichkeit
VI: Wofür das Netz wirklich gut ist und was die Telefongebühren
damit zu tun haben