Das T-Radio (31.12.2000)

Die Wunsch-eM@il aus Heidelberg:

Das T-Radio (31.12.2000)
oder:
Warum der Napster-Bertelsmann-Deal am Markt vorbeigeht.

Das ist doch klar. Das kann einfach nicht funktionieren. Rechnen Sie doch mal mit. Also: Sie haben einen Computer und fangen an, sich Ihre Wunschmusik per Napster-Tauschbörse aus dem Internet herunterzuladen und selbst auf CD zu brennen. Das Aussuchen (ojeh), der Download der MP3-Daten (ach weh, bei ISDN mind. 2x Musiklänge) und das Brennen (noch mehr ojeh, je nach Brenner über eine Stunde) kostet Sie, seien wir doch mal ehrlich, mindestens drei Stunden im Schnitt, die kaputten Rohlinge durch BufferUnderRun gar nicht mitgezählt. Toll! Wenn wir jetzt noch die Computeranlage mit abschreiben, ist die selbstgebrannte CD teurer als jede gekaufte, vom Ärger mit der Technik mal ganz abgesehen. Wer also wollte da noch zusätzliches Geld für den Download ausgeben? Zu diesem Schluss kam Anfang April 2001 auch SPIEGEL-Online-Autor Tuma:
"Vier Tage. Zweieinhalb Songs. Man soll nicht meckern. Okay, es wäre weitaus spaßiger, einfacher und billiger gewesen, sich einfach die CD im Elektromarkt zu kaufen. Aber würde man das wollen, nach derart viel Neue-Welt-Eroberungs-Hochgefühl? Ehrlich gesagt: ja."
Deshalb bleibt Napster mit dem ganzen Technikheckmeck nur was für die Kids mit viel Zeit und wenig Geld und deshalb nur interessant, wenn es kostenlos ist.

Was wünsche ich mir denn wirklich? Nein, bloß nicht noch mehr CDs im Regal. Und nicht noch 'ne Fernbedienung für die 3. Stereoanlage im Gästezimmer (die kleine, die mit der Wurfantenne nur miese Sender reinkriegt). Aber ich würde gerne mal die neueste Dire-Straits-CD hören. Die liegt aber gerade im CD-Wechsler im Auto. Und die 'Brothers-in-Arms' haben wir sowieso nicht. Ehe ich die jetzt gesucht, runterge­laden, gebrannt, ach, vergessen Sie's....

Ich wünsche mir Ron Sommers T-Radio: Telefon hat doch jeder. Und TDSL-High­speed-Internet macht die Telekom jetzt auch bei analogen Anschlüssen. Damit kann Musik in bester Qualität auf mehreren Kanälen übertragen werden – und die Telefonleitung ist trotzdem frei. Was brauch' ich dazu? Richtig, ein kleines, cleveres Endgerät - eben das T-Radio. Denken Sie sich ein schickes Telefon, zum an die Wand hängen oder aufstellen, mit Mobilteil. Das hat ein mehrzeiliges Display und diese ABC/DEF-Tastatur, wie es Handys haben, also 10 Zifferntasten, mit denen aber auch Buchstabeneingabe möglich ist. Und natürlich die clevere Worterkennung, wie wir sie für die SMS-Eingabe kennen. Sie wollen telefonieren? Bitte sehr, Hörertaste drücken, los geht's. Sie wollen Radio hören? Tippen Sie einfach 7-3-7-3. Das Display zeigt Ihnen (unter anderem) SDR3 – und weil Sie diesen Sender bis jetzt am häufigsten gewählt haben, steht er ganz oben in der Liste. Sie drücken #, und regeln die Lautstärke mit den Pfeiltasten. Ach ja: die kleinen Boxen an der Wand werden direkt aus dem T-Radio versorgt, für die 2x1 Watt, mit der wir Zimmerlautstärke erzeu­gen, reicht ein Steckernetzteil allemal. Die Technikfreaks kaufen sich einen Zusatzverstärker, den sie hinten anstöpseln können, und große Boxen dazu. Oder sie haben Ohrstöpsel am Mobilteil. Und hören damit Dire Straits. Wie das geht? Naja, ich tippe:

    3     4    7     3     7

(def) (ghi) (pqrs) (def) (pqrs)

    und schon zeigt das Menü:

DIRE Straits .. ->#
EISER
mann ..
FIREStorm ..

Mit # komme ich in die Unter­auswahl aller Dire-Straits-CDs. Mit *Alle chrono* und *Alle Zufall*, beides ganz oben in der Liste, gibt es chronologisch oder zufällig ausgewählt alle Dire Straits-Titel. Kommt einer, der mir nicht gefällt, drücke ich die Löschtaste. Das schlaue Heinzel­männchen im Zentral­com­puter merkt sich das – und spielt mir den Titel nie mehr vor, über­springt ihn sogar, wenn ich die komplette CD angefordert habe. Klasse! Die ganze Musik der Welt steht mir zur Verfügung – ohne Platzbedarf, ohne in den Laden zu rennen, ohne Kratzer, Staub, defekte CD-Spieler, und was des HiFi-Ärgers sonst noch so ist. Neben der Musikbibliothek gibt es traditionelle "Radio"-Stationen:  den werbe-und nachrichtenfreien Klassiksender (KLASS: 55277), POP der 60er (POP6: 7676) bis 90er (POP9: 7679), dito Rock (ROCK: 7625..), Volksmusik (VOLKS: 86557..), bunt gemischt den ganzen Tag.

Anderes Zimmer? Kein Problem: der drahtlose Hausfunk verkraftet das leicht, und TDSL reicht für 6 x 128 kBit – das sind sechs Kanäle Stereo in guter MP3 Qualität. Da kann die Oma Volksmusik hören, die Kinder Pop und Rock, die Eltern hören Klassik sogar mit 2x128 KBit (allerbeste Qualität) und immer noch ist Platz für's Internet-Surfen mit doppelter ISDN-Geschwindigkeit – und das Telefon ist trotzdem nicht belegt! Und mit dem neuen 64Kbit-Codec (AAC) ist sogar doppelt soviel Platz in HiFi-Qualität! Für die Küche gibt es die jahreszeitlichen Kochrezepte (REZEPT: 73937...) auf dem T-XL-Modell mit eingebautem Thermo­drucker, der den Einkaufszettel, aber auch Briefmarken, Bahn- und Bustickets aus­druckt. Jeder kann im T-Radio zentral seine Termine (Zahnarzt etc.) ablegen, das Gerät macht dann zu gegebener Zeit darauf aufmerksam – sogar per SMS, falls ich unterwegs bin. Uhr, Wecker und Geburts­tags­kalender sind eingebaut, sogar die Türöffner-Hausprech­anlage hängt mit dran. Und wenn ich über mein T-Radio jede beliebige CD der Welt aussuchen und hören kann, ohne sie jemals in den Schrank stellen zu müssen, dann hat sich's ausgenapstert, wer ein T-Radio hat, brennt keine CD mehr.

Sie denken an die Wunsch-CD, das eigene Programm, das Sie sich früher mühevoll aus dem Radio zusammengeschnitten und auf Tonbänder oder Cassetten gespeichert hatten? Und heute per Napster auf CD bannen? Klar, ich würde auch gerne meine selbst gemachte Pop&Rock-Cassette Nr. 3 mal wieder hören. Mit dem T-Radio nichts leichter als das: Songs nacheinander übers Menü anwählen, dann den Memory-Knopf drücken. Am Schluss noch eine Bezeichnung (Band Nr. 3) dazu, fertig. So stellen Sie sich virtuell Ihre eigenen Mischungen her. Und können Sie überall abhören, wo eine Anlage ist, Ihr UMTS-Handy macht den Kontakt und Sie wählen nur noch Band No. 3, im Auto, im Hotel, im Schwimmbad (mit Ohrhörern), sogar bei Freunden im Gästezimmer. Und ohne irgendwas dazu mitzunehmen. Und natürlich haben Sie nicht nur Zugriff auf Musik, sondern auch auf Science-Fiction und Krimi-Hörspiele, Hörbücher der Weltliteratur, Sprachlernprogramme, was auch immer Ihr Herz begehrt, vor allem aber, wann auch immer Sie wollen. Wie oft habe ich ein Hörspiel verpasst, bin zu spät gekommen. Wie gerne würde ich so manches Hörspiel von damals wiederhören. Mit dem T-Radio-Pool gar keine Sache.

Und was soll das kosten? Nun, all die Vor­teile meines T-Radios, das lasse ich mir doch 20.- DM im Monat wert sein, oder?

Warum 20.- DM? Sechs Milliarden setzt die Musikindustrie im Jahr um, pro Einwohner weniger als 10.- DM im Monat. Mit T-Radio entfallen natürlich alle Distributionskosten für die Tonträger, aber die Geräte müssen ja auch bezahlt werden. Einen halben Tausender wird das T-Radio schon kosten, auch als absolutes Massenprodukt. Und wird nach fünf Jahren auswechslungsreif sein. Deshalb: 5.- für die Musike (das ist reichlich, die GEMA wird sich freuen) und 10.- fürs Gerät, dann kommt es hin. Und bei 20.- DM/Monat macht die Telekom schon einen fetten Gewinn. Und so kommt bei allen Freude auf: nie mehr die Hifianlage umziehen müssen, neu kaufen müssen, mein T-Radio ist alles, was ich brauche. Zudem ist es die Killer­applikation für UMTS. Unterwegs meine Musik hören, ohne noch einen MP3-Player dabei haben zu müssen! Statt Autradio mit CD-Wechsler nur ein Verstärker mit Einschubfach für mein UMTS-Handy, wunnebar!

In UMTS sieht dann endlich im April 2001 auch Bertelsmann den Heislbringer für Napster & Co: "Ein großer Zukunftsmarkt wird mit der Funkübertragung UMTS entstehen." Musik werde von jedem mobilen Gerät und jedem Handy aus abrufbar sein. Der Besitz an festen Datenträgern wie CD oder Schallplatte werde dann im Prinzip überflüssig, meint am 14.4.2001 Frank Sarfeld, Sprecher der Bertelsmann E-Commerce Group (BECG) laut dpa. Und daß das Napster-Abo-Modell nicht funktioniert, wird hier zwischen den Zeilen auch deutlich, wenn Sarfeld weiter zitiert wird: Vermutlich werde es auch weiterhin MP3-Dateien geben, die etwa der Online-Dienst AOL anbieten will. "Ein Preis von zwei bis drei Dollar pro Titel wird für viele Musikliebhaber allerdings nicht mehr so attraktiv sein, da die Kosten inklusive Telefongebühren im Vergleich zum Kauf einer CD relativ hoch sind." Wieso Nutzer des neuen Napster allerdings für nicht mehr auf CD brennbare Titel bis zu 21.- DM im Monat berappen wollen sollten, diese Frage bleibt offen: "Unser Mitgliedermodell sieht das Brennen von Musikstücken im MP3- Format auf CD nicht mehr vor." Die Songs sollen künftig im Dateiformat NAP übertragen werden - nur zum Anhören am PC. Mit Hilfe eines eingebauten Schutzes soll das Kopieren und Verbreiten verhindert werden. Dass damit ein großer Reiz für die mittlerweile 72 Millionen Napster-User verloren gehen könnte, glaubt Sarfeld nicht. Die Nutzer seien bereit, für ihre Musik zu zahlen, heisst es lapidar in der dpa-Meldung. Das hört sich eher nach lautem Pfeifen im tiefdunklen Wald an, als nach eine funktionierenden Businessmodell – denn bis UMTS kommt, wird Napster pleite sein, wenn nicht das T-Radio die Zeit überbrückt.

So ganz nebenbei ist das T-Radio auch eine DSL-Killerapllikation in der Telefonie: es eignet sich ohne weitere Änderungen natürlich besonders gut für Voice-over-IP, also die Internet-Telefonie. Damit könnte ein Carrier wie die Telekom tatsächlich kostenlos resp. gegen eine Festgebühr (Flatrate) Nah- und Ferngespräche anbieten, natürlich nur zwischen TDSL-Kunden. Damit würde sich das Gerät so schnell verkaufen wie vordem noch kaum etwas anderes – und die Telekom wäre lästige Konkurrenten los.

Erinnern Sie sich an BTX? Hier war das ein Flop, aber in Frankreich hat man das schlaue MiniTel dazubekommen: in die Telefondose einstöpseln und los gings, quasi Beckermäßig. Das MiniTel wurde ein Millionen-Erfolg. Könnte das T-Radio auch werden, wenn es nur jemand bauen wollte...

© Lorenz Borsche, 31.12.2000 (Letzte Änderung: 14.3.2001)

Ergänzende Artikel und Meinungen dazu:

Musikhören: "Alles Spaß und gratis"

Musikindustrie: Mit MTV gegen Napster

UMTS: Suche nach der "Killerapplikation" (Vermischte Meldungen)

Die CD ist ein antiquiertes Medium (Sarberg/BEG im dpa-Intrerview)

Produktdesign: "Es fehlt häufig der Blick auf die Menschen"

 Problems & Questions (14.3.2001)

Lösung All-in-One: T-Radio

Auf das kombinierte Telefon-Radiogerät können mit TDSL in AAC-Technik (MP4) bis zu 12 Musikkanäle nach Wunsch im Streaming-Verfahren im Festnetz übertragen werden, ohne die Telefonleitung zu belegen. Mit Music-on-demand, ausgewählt über die alpha-num-Tastatur in T9-Technik wird das private Musikarchiv ebenso überflüssig wie die dazugehörigen Geräte (Tuner/CD-Player/MC-Player), an das T-Radio werden nur 2 Boxen (oder am Mobilteil Ohrhörer) angeschlossen, für Anspruchsvolle ev. Zwischenverstärker und größere Boxen. Um in anderen Zimmern ebenso Musik zu hören, genügt das Mobilteil des Telefons und eine Ladeschale mit Verstärker und Boxen. Für unterwegs (Auto/Bus&Bahn/Strand etc.) kann UMTS für denselben Service auf einem Kanal genutzt werden.

Die Musik kommt in digitaler Qualität, also wie im DAB-Satellitenradio, die Auswahl ist unbegrenzt, d.h. es steht die gesamte Musik der Welt zur Verfügung. Dsgl. können alle Radiostationen und Hörprogramme angewählt werden. Eine Memory-Funktion, mit der Listen auf dem Zentral-Server angelegt werden, ersetzt die privaten Musikzusammenschnitte auf Tape oder CD, eine Skip-Taste erlaubt es, unerwünschte Titel zu überspringen und diese Information dauerhaft im Profil zu verankern. Die Finanzierung über Abo-Gebühren an die GEMA erlaubt eine präzise Verteilung an die Copyrightinhaber. Werbeinblendungen können diese Abo-Gebühren durch Gutschriften entsprechend senken, die Skip-Taste erlaubt eine Rückmeldung über die Effizienz der Werbung.

Die Bandbreite und das Encoding per AAC sind für Voice-over-IP besonders geeignet, so daß diese Technik damit computerunabhängig auch breiten Massen  zugänglich wird. Ebenso können nun bestimmte Textinhalte (Fahrpläne, Kino & Theater, Börsenkurse, Ticketreservierung etc.) WAP-ähnlich breiten Nutzermassen zugeführt werden, die sonst niemals 'Internet' oder WAP benutzen würden ('28 Mio Internetmuffel').

Die überlegene, einfache Technik und Bedienung, sowie die Verfügbarkeit nahezu unendlich großer Musikarchive, kombiniert mit den Möglichkeiten von User-Profilen ('ähnliche' Musik hören etc.) führt ganz von selbst zum Verschwinden anderer Aufbewahrungs- und Verbreitungsformen, das 'Brennen' und damit alle Copyright-Probleme sind beseitigt. Mit Hilfe aus der Handy-Revolution bekannter Finanzierungsmodelle (Gerät umsonst, monatliche Abogebühr, Voice-over-IP-Gespräche erlaubt stark verbilligte Gespräche), ergänzt um die Werbeeinnahmen, sollte sich diese Technik binnen einer halben Dekade flächendeckend durchsetzen lassen.

Für Gerätehersteller, Internetprovider und Telekom ist der Nutzen unmittelbar ersichtlich, aber auch die Musikindustrie profitiert enorm. Nicht nur entfallen die Hälfte aller Kosten des Verkaufspreises einer CD, die durch Produktion und Distribution entstehen, das Abo-Modell versorgt die Industrie in ähnlicher Weise wie die Gebühr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Produktionszyklen werden stark verkürzt, der Zwang, jeweils ein ganzes Album zu füllen, entfällt, und durch den Random-Likelihood-Mix anhand des User-Profils können neue Künstler auch Hörern nahegebracht werden, die keine Zeit haben, sich um Novitäten zu kümmern. Das Abrechnungsmodell verschiebt die wirtschaftliche Bedeutung von Quantität in Richtung Qualität, da nun auch 'alte' Titel, ständig 'wieder'verkauft werden und damit den Copyrightinhabern und Produzenten langfristige Einnahmen sichern.

Ganz nebenbei ist dieser Service die von allen herbeigesehnte Killeraplikation für UMTS. Der Textmodus läßt sich vielfältig nutzen (Nachrichten, Fahrpläne, Ticketbuchung etc.) und erlaubt endlich auch SMS von und zu Festnetz-Endgeräten, Missbrauch ist de fatco unmöglich, da wg des Abos resp. User-Profils eine Identifikation des Endgerätes unumgänglich ist.

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