Lorenz Borsche: Museumsbesuch

Museumsbesuch

Sonntag ist, aber ausnahmsweise ist es nicht grau, ich habe kein schlechtes Gewissen, dafür aber noch einen leichten Schwurbel von gestern im Kopf und außerdem was vor: mit einer Freundin will ich in Mannheim eine Design-Möbel-Ausstellung besuchen, also ins Auto und los. Die Ausstellung in der Rheingoldhalle ist ganz nett, aber eine one-man-show, so sind wir schnell durch und sehen uns gezwungen, über den Rest des milchig-sonnigen-arschkalten Novembersonntags neu zu befinden - ihr fällt das Hack-Museum in Ludwigshafen ein.

Das Museum ist schon von weitem als Stätte der Kunst erkennbar, da hat sich ein bunter Schuhkarton in die öde Ludwigshafener Industriearchitektur verirrt und malt einen frischen Klecks ins Grau. Hübsche Geste, daß alle unsere Museen "for umme" sind, richtig volkstümlich, gell. Drinnen dann luftige Weite, gemächlich steigende Rampen, Licht fließt von überall. Innerlich muß ich einer Architektin Abbitte tun, mit der ich mich über Beton gestritten hatte. Diese großzügige Konstruktion ist mit einem anderen Baustoff kaum denkbar.

Wir wenden uns einer Photoausstellung zu. Schwarzweiße, gestochen scharfe "Ansichten", gut gesehenes Spiel von Licht und Schatten, einige Perlen darunter, anschauenswert auf jeden Fall.

An einer Ballustrade hängt in großen schwarzen Styroporlettern ein Name: Heinz-Rudolf Kunze, nein, der Nachname ist DIENST und der Vorname auch nicht Heinz-Rudolf, aber genauso deutsch-bieder, sodaß ich immer nur Heinz-Rudolf denken kann. Wir entdecken die Werke dieses Künstlers im Souterrain.

Als erstes laufe ich auf ein monumentales gelbes Quadrat zu. Moderne Zeiten, denke ich, die Autos werden schneller, die Häuser höher, die Luft schlechter und Bilder von der Größe eines Kingsize-Bettes sind offenbar angesagt. Dafür ist dann auch wenig drauf, gelb wie gesagt. Ich gehe näher ran, vielleicht kommt ja noch was. Oja, da entdecke ich einen graugelben Querstrich, sieht aus, als hätte jemand mit einem riesigen Stück Tesakrepp ein nicht ganz gelungenes Stück Gelb zu reparieren versucht. Und ganz nah dran kann ich dann sehen, daß der Herr Dienst sich wirklich vedammt viel Mühe mit dem Gelb gegeben hat. Es besteht nämlich aus vielen, vielen Zeilen und diese aus vielen, vielen Zeichen, das heißt eigentlich immer aus demselben. Es sieht aus wie eine Schere, oben zwei Kringel und unten zwei auseinanderstrebende Striche, nein es sind drei Kringel und irgendwie vier Beinchen nach unten. Oder vielleicht auch wie eine Geschenkverpackungskringelschleife in einem Strich-Cartoon. Na jedenfalls muß es sehr schwierig sein, diesen Kringel zu malen, und so hat er halt geübt, bis das Blatt voll war. Und deshalb ist es halt leider ganz und gar gelb.

Rechts davon hat er's nochmal probiert, diesmal in Eitergrüngrau und diesmal sind zwei Tesakreppstreifen drauf. Und links davon, weils so schön war, dasselbe nochmal, aber diesmal sind die Streifen senkrecht. Mir ist nur leicht übel, doch da sehe ich in der Ferne was zur Entspannung. Zwei Double-Super-Kingsize-Betten in Schwarz. Das beruhigt mich sehr, denn von der Kringelei wird einem ja ganz schwindelig. Und auch noch im Näherkommen ist das große Schwarz einfach schwarz.

Aber ich habe nicht mit der Genialität von Heinz-Rudolf Dienst (der Vorname stimmt immer noch nicht) gerechnet. Ha, das ist garnicht schwarz, oder fast nicht, jedenfalls müssen das einige tausend Kringel sein, in dunkelgrauschwarz, schwarzschwarz und darüber in dunkelblauschwarz. Die sich langsam verstärkende Übelkeit läßt meine Augen hilfesuchend nach rechts wandern. Bitte mal eine verdauliche Portion....

Oh, da ist ja was blaues und auch nicht so groß und das Blau ist garnicht so übel. Ich geh nicht näher ran, da hängen drei Blaus nebeneinander und ich will garnicht wissen, ob sie gekringelt sind, oder nicht. Aber ich entdecke kleine Schildchen neben den Rahmen und dann lese ich (und habe natürlich ungewollt wieder gekringeltes wahrgenommen): "Erster Gedanke an Sam Fritz" (also diesmal stimmt der Vorname und der Nachname nicht), und es ist das mittlere Bild. Links daneben hängt nach Auskunft des Zettels der 2. Gedanke an selbige Person und richtig (oder besser gesagt falsch), rechts vom ersten hängt der, ich ahnte es schon, dritte Gedanke. Oh heilige Vielfalt, die Du den genialen Heinz-Rudolf Dienst überkommen hast! Gegenüber dann was Rotes und was Grünes, überflüssig zu sagen, daß es sich um Gekringeltes mit Beinchen handelt.

Wer aber glaubt, dieser Künstler habe zwischen 1966 und 1982 - aus dieser Zeit stammt sein Opus - nur ein Motiv gekannt, der irrt sich gewaltig. Zwischendurch muß ihn die Sehrnsucht nach Einfachheit überfallen haben, vielleicht wollte er sich auch nur von den anstrengenden Kringeln entspannen, wir wissen es nicht. Es gibt jedenfalls noch etliche Bleistift und Tuschezeichnungen, ich habe sie intern die Würmchenbilder getauft. Also nehmen wir mal an, Sie malen ein bananenförmiges Oval, eine dicke Bohne sozusagen und jetzt verzieren Sie ihr Inneres mit einem M, einem kleinen M, und das üben Sie bitte, bis das Blatt voll ist (also ich wiederhole mich zusehends). Die Variationsbreite der Würmchenbilder liegt nur knapp unter der der Gekringelten, eine beachtliche Leistung angesichts des Fehlens der farblichen Ausdrucksmöglichkeiten.

Dem Ausgang zustrebend entdecken wir noch eine Serie von vielleicht zwanzig schwarzen Gekringelten kleineren Formats, die sich durch unterschiedlich angeordnete Längs-und Querstriche mit dunkelblauem Fettstift wohltuend von einander unterscheiden. Das äußerste rechte trägt den Titel "Epitaph Nr. 67 an Ad Reinhardt" und mir schießt ein frecher, ein revolutionärer Gedanke durchs Hirn: der Künstler wird doch wohl nicht.. hat er aber doch! Links außen hängt das Epitaph Nr. 1, daneben Nr. 6, dann Nr. 8, alle an Ad Reinhardt, in numerisch unregelmäßigen Abständen, da werden wohl einige verloren gegangen sein, oder sie haben vielleicht nicht den hohen ästhetischen Ansprüchen des Künstlers genügt (ob vielleicht ein Kringel nicht so geraten ist, wie er sollte?).

Ich kenne Ad Reinhardt nicht, aber wenn er nicht ganz tot war, dann muß ihn die Wucht dieser gekringelten Nachrufe endgültig erschlagen haben. Es gibt da einen exemplarischen Unterschied zwischen Orden und Preisen einerseits und Ehrungen und Widmungen andererseits: die einen kann man ablehnen, den anderen ist man ausgeliefert - auf Gedeih, Verderb und Peinlichkeit.

An der letzten Säule dann die Erklärung: dieser Heinz Rudolf Dienst war mal Kunstkritiker, bis er selbst, aus welchen Gründen auch immer, zu künsteln anhub. Und er hat Bücher mit bedeutsamen Titeln verfaßt, wie zum Beispiel: "Malerische Malerei - plastische Plastik". Nein, das habe ich mir nicht ausgedacht, das ist deutsche Kunstwirklichkeit und, wia im richtigen Läben, schlägt auch hier die Realität jede mögliche Satire.

Zum Ausgleich sind wir dann noch einen Stock höher gegangen, zu den Bildern von Liebermann, Chirico, Nolde und Schmitt-Rottluff. Und mir ist wieder ganz gut geworden, aber das ist, weil ich ein Spießer bin und außerdem eine andere Geschichte.

Die Gekringelten und die Würmchenbilder hängen übrigens noch ein Weilchen in Ludwigshafen und wie gesagt, der Eintritt ist frei!

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