Die TANGO Story, Teil 02 + 03

Kino Kino

Das GLORIA ist wirklich ein besonderes Kino - in jeder Hinsicht. Alt und klein - wenn der Zuschauerraum mit 120 Menschen voll besetzt ist, kann auch der große Ventilator die sich ausbreitende, drückende Schwüle nicht mehr bewältigen - laufen hier auch vor allem die alten und die kleinen Filme, Programmkino halt. Mir ist das sehr recht; zwischen den beiden Projektoren halb verkrümmt sehe ich durch das kleine Guckloch mit dem Kopfhörer auf den Ohren so manchen guten Film und werde auch noch dafür bezahlt. Und außerdem bekomme ich recht häufig Besuch - Kino ist halt attraktiv, und wer wollte nicht auch mal hinter die Kulissen sehen. Dann lasse ich die Herren mal eben die 20 kg schweren Spulen mit 1800 Filmmetern hochwuchten, die Damen dürfen bewundernd die großen Maschinen anfassen, und wer unbedingt möchte, darf auch mal eine Überblendung, einen Rollenwechsel fahren. Das ist nicht schwer, aber aufregend, schließlich sitzt unten das Publikum und pfeift, wenn's schiefgeht. Wenn also nur noch 2 cm Film auf der ersten Spule sind, wird's Zeit, die Lampe des zweiten Projektors vorzuwärmen. Zündung nicht vergessen. Jetzt den Finger auf den Motorknopf und den Handballen auf den Schieber und dann warten auf das Dreieck oben links im Bild. Dreieck kommt, Motor an! Jetzt noch fünf Sekunden, dann kommt der Kreis. Da isser, den Schieber fest reindrücken, die Klappe geht auf, beim anderen Projektor fällt sie runter, scharfstellen, stimmt der Ton, rüber an die erste Maschine, Motor aus, geschafft. Oder auch nicht: Lampe nicht gezündet, alles bleibt dunkel. Lampe nicht vorgewärmt, jetzt dauerts eine Minute, bis sie anspringt. Die Klappe geht auf, fällt aber wieder runter, der verdammte Magnetschalter... KEIN TON? Jetzt ist auch noch die Tonlampe ausgefallen, so'n Mist. Aber es gibt eindeutig schlimmeres, z.B. den Mittwoch: Mittwochs ist Filmwechsel. Also stehen da zwei oder drei dicke Kartons mit den neuen Filmen. Und die alten müssen nachts noch raus. Filme kommen - aus historischen Gründen - in Stücken à 600m, das reicht für 18 Minuten. Ein Spielfilm hat also 6 Rollen. Rohwickel, das bedeutet, der Film ist um einen kleinen Holz- oder Plastikkern herumgewickelt ohne jede seitliche Begrenzung. Nicht auszudenken, wenn mal ein paar Windungen abrutschen sollten. Und jeweils drei Rollen kommen auf eine große Spule. Und müssen natürlich zusammengeklebt werden, also den Vor- oder Nachspann entfernen, Klebemaschine raus und bitte passend kleben, sonst verrutscht mitten in der Vorführung der Bildstrich - bei dunklen Szenen gar nicht so leicht zu merken. Und die Filme, die rausgehen, müssen wieder auseinandergeschnitten, mit Vor- und Nachspann versehen und auf die Kerne gewikkelt werden. Da ist dann Chaos im Vorführraum und der Job nicht mehr so gemütlich.

Die Chefin war wieder mal auf den Filmfestspielen und hat einen Glückgriff getan: 'Kinder des Olymp' ist neu kopiert worden, und sie hat ihn sich gesichert. Mit seinen fast drei Stunden ist dieser wunderbare Film auch ein Geschenk für den Vorführer: nur eine Vorstellung am Abend, nur zwei Rollenwechsel, das Kino jeden Abend ausverkauft und alle guter Laune, die Überblendstellen kennst Du im Schlaf und um 11 Uhr ist Feierabend. Zwölf lange Wochen sind nicht nur die 'Kinder im Paradies', sondern auch ich. Und muß natürlich für alle Welt Karten besorgen und darf mich wichtig fühlen.

Es ist verdammt heiß in diesem Sommer und die dicken Projektorlampen machen es nicht gerade angenehmer. Drei Leute im Kino oder zehn, ein öder Film, also ab an die Kasse und ein Schwätzchen halten, wenn irgendwas ist, wird das biß- chen Publikum schon reagieren und was soll schon sein. Ich rauche in Seelenruhe mit der Kassiererin mein Zigarettchen und höre mir zum hundertsten Mal ihre Geschichten an. Bekannte laufen auf der Hauptstraße vorbei und bleiben für ein Schwätzchen stehen, ein lauer Sommerabend und ich werde nachher noch ein Bierchen zischen gehen. Oh nein, werde ich nicht, weil dann nämlich alle Kneipen längst zu haben werden, aber wer ahnt denn schon sowas? Na, jetzt wirds langsam Zeit für die Überblendung, ich drücke meine Zigarette aus und schlendere zurück in den Hof. Und aus der offenen Türe quellen mir Filmmeter entgegen, wie dem Zauberlehrling das Wasser. Kniehoch liegt das Zeug im Vorführraum, das müssen mindestens 300m, ach was, das ist die halbe Rolle, stimmt garnicht, der Film ist kurz nach dem Start gerissen, und gemeinerweise unterhalb des automatischen Aussschalters. Und nun stakse ich wie ein Storch im Salat durch 1600m abgerollten Film, um die zweite Maschine zu starten. Und möchte mich nur hinsetzen und heulen. Die Nacht wird lang. So 10-20m kann ich jeweils entwirren, dann muß ich schneiden. Und kleben. Und entwirren. Und schneiden. Es ist zum Verzweifeln und der Salat auf dem Boden will nicht weniger werden. Nix gegen neulich: da habe ich den mittleren von drei Akten falschrum reingeklebt - mein Vorgänger hat ihn gemeinerweise falschrum aufgewickelt. Jetzt ist die Tonspur im Bild, Ton gibts keinen und die nächsten 20 Minuten geht's leider rückwärts. Pfiffe? Keine. Niemand hat's gemerkt. Nicht zu glauben? Na, das war so ein verrückter Experimentalfilm und das Publikum hat wohl gedacht, das muß so sein. Ach überhaupt, das Publikum, die merken doch eh' nix. Bild unscharf? Egal. Überblendung versaut, Abspann 20 Sekunden lang auf der Leinwand, und selbst Leute, die ich für intelligent gehalten habe, behaupten nichts gemerkt zu haben. Und vor jedem Aktwechsel, also alle 20 Minuten, regnet's. Weil das die Meter sind, die über alle Fußböden aller Vorführräume schleifen, die von allen Vorführerhänden betatscht werden, durch unzählige Klebemaschinen gehen, das muß einfach Kratzer geben. Und das Überblendsignal oben links, Dreieck und Kreis, kennt doch kaum einer. Wie gesagt, die merken nix. Ich leider schon, wenn ich mal selbst Publikum bin. Und über Jahre hinaus sind mir Kinobesuche ein zweischneidiges Vergnügen.

Anderthalb Jahre, drei Semester bin schon hier, inzwischen hat der Alte verkauft, und der neue läßt alles seine Tochter machen. Ist auch besser so, der betreibt einen Kilometer weiter das letzte Sexkino, und das ist nicht gerade meine Wellenlänge. Mein Kollege Vorführer nimmt mich beiseite und raunt verschwörerisch:
Isch hör uff - zwee Kinnos, des mach isch nett.
Zwei Kinos?
Hajooh, do hinne, der Fahrradschuppe, do mescht der noch eens hinn. Obwohl, diie Filme dät ich schun sehe wolle.
Diie Filme?
Hajooh, da musch vorher Kliienex ausdeile und hinnerher uffsammle.
Ein Sexkino? Hier mitten in der Altstadt?
Ha, was glaubsch'n Duu, warum der den Laade gekaaft hot?

Na, dann bin ich meinen Job ja wohl los. Die Chefin ist ganz entrüstet, daß ich keine Sexfilme vorführen will. Moralisch entrüstet, jawohl. Ich will aber nicht und werde wohl im Sommer gehen. Eine Handvoll Filmschnipsel, die ich mir heimlich aus den besten Szenen rausgeschnitten habe, bleiben mir übrig. Und ein paar gute Erinnerungen. Und wieder kein Job.

Auspacken, testen, Mist!

Wieder mal häng ich da im Vorraum zur EDV-Station rum, den wir mit Hilfe einiger Sessel und Sofas flugs zum Aufenthalts- und Fachschaftsraum deklariert haben, und wartete darauf, daß die große Maschine einen meiner Jobs zurückliefert. Über die Lochkartenstanzerei bin ich inzwischen glücklicherweise hinaus, dank HADES und Wolfram, unserem Institushacker. Frag mich einer, was HADES hieß, heißt oder ist - die eine Zeile: 'Enter HADES for HADES or LOGON for TSO' ist in mein Gehirn eingebrannt. Diese Zeile blinkt in schöner Gleichförmigkeit schon morgens auf den zwei grünen RaytheonTerminals neben den Lochkartenstanzern. Allerdings nur, wenn Wolfram nicht da ist, denn von uns kann keiner mit den Dingern umgehen. Er schon. Prototyp des EDV-Freaks mit den strähnigen Haaren und den glänzenden Augen hinter einer irgendwie-Brille sitzt er Tag für Tag mit unter den Stuhl gezogenen Beinen nach vorne gebeugt über der Tastatur und klappert. Bis er sich dann plötzlich mit einem Seufzer und einem finalen Hack auf die ENTER-Taste entspannt zurücklehnt, die Reval-Schachtel entknittert und sich eine verkrumpelte Zigarette ansteckt. Da darf man sicher sein, er hat der großen Maschine für die nächsten 10 Minuten ausreichend zu tun gegeben. Eins seiner liebsten Spielchen ist, sich Speicherplatz zu verschaffen, wo längst keiner mehr ist, etwa so, wie Leute aus lauter Resten einen Flekkerlteppich machen. Was natürlich eigentlich gar nicht geht, aber er kann es - zum Leidwesen der Systemmanager. Fragen darf man ihn tunlichst nichts, denn wenn die Antwort ausnahmsweise mal über ein undeutliches Grummeln hinausgeht, dann fängt er bei Adam und Eva, sprich Bits und Bytes an zu erklären, unter einer einstündigen Antwort auf eine simple Frage geht es nie ab. Und nachdem ich zwei solcher Gehirnwäschen über mich habe ergehen lassen, kann ich jetzt meine Lochkarten einmotten und meine Jobs auf dem Bildschirm schreiben. Und unmittelbar beginnt mir einzuleuchten, warum Computer für mich ähnliches bedeuten, wie für die geplagte Hausfrau die Spülmaschine: einmal geschriebene Jobs lassen sich kopieren und mit leichten Veränderungen weiterverwenden, für einen Menschen, dem man schon als Kind besondere Bequemlichkeit nachgesagt hat, ein echtes Aha-Erlebnis. Und damit meine neuerworbenen Kenntnisse auch den Kommilitonen zugute kommen, schreibe ich flugs ein kleines Einsteigermanual: von der Lochkarte zum HADES-Job. Und halte mich auch sonst länger als nötig und herumspielenderweise recht oft in der EDV-Station auf, weit öfter als in der Bibliothek zumindest - oder eben im Vorraum, um auf einen 'Job' zu warten - der dann auch kommt, aber anders, als gedacht. Er kommt in Form eines Aushangs, den ich - natürlich - nicht gelesen habe. Da wird ein HiWi gesucht für die EDV. Und mein gerade vorbeistreifender Methodenkursleiter will wissen, ob ich, respektive warum ich mich noch nicht beworben habe. Wie später noch öfter, hat ein wichtiger Moment in meinem Leben die Ausdehnung von einer knappen halben Stunde: ein kurzes Gespräch mit dem Professor, der mich damit überrascht, sich nach meinem Job im Kino zu erkundigen, und sich hocherfreut zeigt über das Ende meines Filmvorführerdaseins und ich kann anfangen. Ich, der ich nie hatte mit Computern etwas zu tun haben wollen, als EDV-Knecht! An die Vereidigung auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung bei unserem als ebenso großen Zyniker wie Soziologen bekannten Institutsleiter werde ich mich mein Leben lang erinnern.

Bekomme einen Platz in einem Hiwi-Zimmer bei Ottmar, der an der wahnwitzigen Synthese aus George Herbert Mead, Jean Piaget und Sigmund Freud werkelt (und später als Spekulant sein Geld verdienen wird), und: meine Couch! DIE Couch! Die einzige Couch im ganzen Institut! Etwas ältlich und mit Blümchenmuster, aber soo bequem, wenn das Mensa-Essen die Stirne inwendig verdunkelt. Ottmar, eben jener, der bei meinem ersten Besuch im Institut so impertinente Bemerkungen gemacht hat, erweist sich als lustiger Zeitgenosse und guter Organisator: daher die Couch, die er aber selbst nur äußerst selten zu beliegen pflegt. Ich dafür umso öfter. Das Schlafen zu jeder beliebigen Tag- und Nachtzeit habe ich in der Schule der Nation hinreichend gelernt, wenn's sein muß, reicht mir dafür auch der Fuß- boden, einer Couch aber kann ich einfach nicht widerstehen.

Mit meinem neuen Job kommen auch neue Verantwortlichkeiten, vor allem in Form einer neuen Maschine. Irgendwelche (ziemlich viele) öffentliche Mittel müssen unbedingt ausgegeben werden und heraus kommen drei große und zwei mittlere Kühlschränke im Allerheiligsten, ganz schick in braunbeige und AEG-TelefunkenModcomp, kurz ATM geheißen. Da werkelt ein schicker 16-BitProzessor (Ihr 486er hat 32!) mit unglaublichen 4 Megabyte Hauptspeicher, ein Schrank voller Schnittstellen brutzelt vor sich hin und die Wechselfestplatte mit ihren 80 Megabyte (Sie haben 105 oder mehr) besteht aus fünf übereinandergeschraubten Riesenschallplatten und wiegt ein paar Kilo. Dazu noch der monströse Kettendrucker vom Ausmaß einer Betonmischmaschine und ähnlich geräuschvoll, vier Bildschirme, drei Meter englische Manuals, und schon sind die zweihunderttausend Märker ausgegeben.

Mit dem Techniker stehe ich bald auf Du, schließlich sehen wir uns ja ein-, zweimal die Woche. Kein Tag ohne Absturz, ach was rede ich, ohne Abstürze, und es tut doch soo gut, wenn man gebraucht wird...

'Looorenz, die Anlage hängt' schallt es mir oft schon im Flur entgegen, und mit Aus/Einschalten ist's da nicht getan. Im Blindflug drücke ich Schalter und Knöpfe, wie ich mir's aufgeschrieben habe, gebe, wenn bestimmte Zeichen auf dem Bildschirm erscheinen, irgendwelche Befehle ein und hoffe, daß dann wiederum andere bestimmte Zeichenfolgen erscheinen und die Maschine irgendwann wieder läuft. Und dabei hat dieser Riesenaparillo vergleichsweise nichts zu tun. Ein paar unermüdliche schreiben ihre Jobs auf den neuen Bildschirmen, wenn die HADES-Schirme besetzt sind, und ab und an kommt vom Rechenzentrum was zurück. Das soll dann auf dem Kettendrukker ausgespuckt werden, und da gehen dann spätestens die Probleme los. Papierstau ohne Ende - weg ist der Job. 5 Seiten gedruckt und fatz, die Maschine steht. Und dann auch noch ein neues Druckformat vom Rechenzentrum, schon geht garnichts mehr. Eigentlich steht die Anlage mehr, als daß sie läuft, aber das schert niemanden außer mir. In der Industrie draußen aber denkt man wohl anders über die ATM- Anlagen, und so sieht sich die Firma genötigt, ein bißchen positive Eigenwerbung zu veranstalten. Ein Wettbewerb wird innerbetrieblich ausgeschrieben: wofür die Abkürzung ATM wohl stehen könne? Gewonnen hat, so berichtet mir der nette Techniker, der Spruch: 'Alles Tolle Männer' (der Feminismus ist über UniSeminare noch nicht hinausgedrungen), hinter vorgehaltener Hand aber ist der eigentliche Renner:

'Auspacken, Testen, Mist!'

Schon möglich, ja sogar ganz sicher richtig, und dennoch: ohne die ATM-Maschine und natürlich den evangelischen Buch-Club gäb's heute keine TANGO ...

weiter…