Die TANGO Story, Teil 04+05

Von Buchclubs, Lokomotiven und einem langen Winter...

Die schlimmsten Stürme sind wohl überstanden, im Haus und außer Haus. Aus den neun Quadratmetern sind ein paar mehr geworden, endlich habe ich die Wohnung, die ich schon immer wollte, zwei kleine Zimmer unterm Dach, eine alte Küche und eine Rumpelkammer. Bad - Fehlanzeige. Klo - anderthalb Stockwerke tiefer. Freie Stehhöhe - da paßt kein IKEA-Regal rein, ich kann die flache Hand gegen die Drecke drücken, und trotzdem: tierisch gemütlich. Und da mein privater Sturm gerade zur Oberflaute geworden ist, habe ich Zeit genug, aus der Wohnung was zu machen. Der Vermieter läßt uns glücklicherweise völlig freie Hand, ein anderer hätte wohl das Hickhack des letzten halben Jahres kaum mitgemacht. In diesem letzten Semester macht keiner von denen, die hier ein- und ausgehen, an der Uni auch nur einen Schein, jeden Tag ist Party angesagt, wer wo wohnt, ist reichlich unklar und wechselt von Tag zu Tag, Plattenspieler gehen zu Bruch, ein Penner verirrt sich in Juttas Bett und sein Hund pinkelt den Teppich voll, Manolos Freunde singen die ganze Nacht, bis er die Fete mit einer Flasche Apfelshampoo beendet - die an der Wand unü- bertünchbare grüne Flecken hinterläßt, und wenn man nachhause kommt, kann es schon sein, daß man den Flur mit Möbeln vollgestellt findet, weil irgendwer einen Eimer Farbe gekauft und beschlossen hat, es sei jetzt Zeit die Küche zu renovieren. In Walters Wand sind eigentlich nur ein paar kleine Risse, aber in fünf Stunden Anstrengung drükken wir anderthalb Sack Feinputz in die Löcher, die immer größer geworden sind. Und dann quillt uns das puddingartige Zeug wieder entgegen und wir sind mit Nachdrücken und Biertrinken den Rest der Nacht beschäftigt.

Over and Out, jetzt ist wieder Ruhe im Haus. Walters Zimmer ist fertig renoviert, der Ofen steht, das Bett, an dem er sechs Woche rumgeschraubt hat, auch. Pfälzer sind halt etwas anders: wenn kommt - kommt! ist sein Lieblingsspruch. Also bohrt er für eine der Eckschrauben, daumendick und handspannenlang, ein Löchlein in die Massivholzbalken - 3 mm breit und 3 cm tief, schraubt das Monster rein, wundert sich, daß es nach drei Umdrehungen nicht weitergeht, kratzt sich den Kopf, schraubts wieder raus, nächster Bohrer, etwas tiefer, wieder reinschrauben, testen, wieder raus, nach anderthalb Stunden halte ich das Zuschauen nicht mehr aus, aber: jetzt isses fertig und: quietscht nicht!

Und so wie hier ist es auch im übrigen Haus - es ist wieder Ruhe eingekehrt. In meiner Wohnung ist allerdings noch viel zu tun. Nachdem ich die Rumpelkammer mit Gerätschaften aus Wohnungsauflösungen, viel Salzsäure, Kupferleitungen, 2000 Mark und drei Wochen Knochenarbeit in ein ganz ansehnliches Bad verwandelt habe, ist jetzt die Küche dran. Sieben Lagen Fußboden liegen hier übereinander, je tiefer man kommt, desto modriger riechts.. Draußen wird's langsam kalt und im Bad ist keine Heizung. Mein alter Heizlüfter steht ja noch um die Ecke in der Semmelsgasse. Und so rufe ich mal eben die wohlvertraute Nummer an. Die Mitbewohnerin ist dran, sie wird es ausrichten. Frisch ans Werk, hier gibt's noch soviel zu tun, schon ist der Heizlüfter wieder vergessen. Das Wohnzimmer ist noch völlig unbetretbar, die Dielen sind teilweise durch rohes Bauholz ersetzt worden, die Elektrik stammt von Anno dunnemals. Im Arbeitszimmer brauche ich nicht unbedingt was zu machen, die Wände gehen, es gibt eine Steckdose, die Stereoanlage läuft und auf dem Feldbett schläft sich besser, als gedacht, allein zumindest. Ich trage gerade die fünfte Lage Linoleum in der Küche ab, als es klingelt. Und da kommt nicht nur mein Heizlüfter, sondern auch ein Einzugsgeschenk, zwei blaue Handtücher, zum weiß-blauen Bad ungemein passend. Eine Flasche Wein ist schnell aufgetrieben und ich lerne, wie man unter sehr eingeschränkten Bedingungen Wiedersehen feiern kann....

In der Uni hat das Semester voll wieder eingesetzt. Die nächste 'Generation' wird durch den Methodenkurs gelotst und die drei ATM-Bildschirme sind immer belegt. Weitere Schirme könnte man schon anschließen, aber die sind teuer. Und in dem ganzen Schlammasel - draußen ist novembergerechtes Sauwetter, die nassen Parkas fliegen auf den meterlangen EDV-Ausdrucken rum, mein Wohnzimmer ist immer noch nicht fertig - flattert mir die Quartalsqual auf den Tisch: viel bunt und ich muß mich entscheiden - der Evangelische Buchclub schickt mir ansonsten irgendeinen dicken Schmöker. Die Sektion HiFi bietet auch nicht gerade Verlockendes, aber da: ein kleiner grüner Bildschirm, eine Tastatur, was ist denn das? Ein Homecomputer. Von Schneider/Amstrad. Mit richtigem Monitor - die CommodoreKonkurrenz muß immer noch am TV angeschlossen werden - und 80 Zeichen pro Zeile, stolzen 64 Kilobyte Hauptspeicher und zum Speichern von Programm und Daten ein Cassettenrecorder, das ganze für 899.- DM. Die Rückfrage beim Buchclub ergibt genau das, was ich hören wollte: keine Quartalsbände mehr die nächsten zwei Jahre! Und wenn er funktioniert, kauft die Uni fünf Stück und schließt sie an die ATM-Anlage an, sagt mein Professor. Zwei Wochen später pule ich aus zwei großen Kartons meinen ersten eigenen Computer! Angeschlossen ist er schnell, ein Kabel in die Steckdose, zwei vom Monitor an die Konsole, einschalten und schon blinkt's mir grün vor der Nase:

Amstrad Consumer Electronics
Locomotive Basic 1.0
Ready_

Wolln doch mal sehen, was man damit machen kann. Im Handbuch steht: tippen Sie ein: Print "Hallo" und drücken Sie die RETURN-Taste, dann schreibt Ihr CPC darunter:

Hallo

Ich tippe ein: Print Hallo und drücke RETURN. Der CPC schreibt darunter:

0
Ready_

Die nächste Stunde verbringe ich damit, herauszufinden, warum er immer Null statt Hallo sagt. Ist das denn zuviel verlangt, daß mir dieses Miststück wenigstens das Wörtchen HALLO auf den Bildschirm schreibt? Stattdessen immer nur NULL - mit einem Schrägstrich durch! Nicht mal wenigstens 1 oder 15, nein 0. Ich finde es heraus. Nach Unzähligen:

Unknown command
Ready_

oder:

Syntax error
Ready_

lerne ich, daß Computer in Schubladen denken. Es gibt eigentlich nur zwei Dinge: Kommandos und Daten. Die Kommandos liegen fest und jeder Schreibfehler wird unnachgiebig mit SYNTAX ERROR beantwortet. Die Daten liegen in Schubladen. Zwei Anführungszeichen z.B. sagen dem Computer: Hier kommt ein Text - und genau die hatte ich oben vergessen. Text ohne Anführungszeichen behandelt er als Schublade bzw. deren Namen. Hallo ohne Anführungszeichen sei eine Schublade, meint er, und da nichts drin lag, druckte er genau das aus: Null. Man kann auch was reintun: 'Hallo = 1' und dann addieren:

'print hallo + hallo'
2
Ready_

ist die Antwort. Ich hab's, Heureka, die Welt soll davon erfahren....

Dieser Moment ist der Beginn einer langwierigen und stressbelasteten Beziehung zu einer Maschine, von der man in wenigen Jahrzehnten sagen wird, daß sie die Welt mehr verändert hat, als die Erfindung des Rades.

Scheine und Scheinwelten...

Mit Windeseile kommen die Weihnachstfeiertage heran und mit ihnen viel freie Zeit. Obwohl: freie Zeit kennt der Student ja gar nicht. Vorlesungsfreie Zeit heißt das ja auch richtig, von frei kann gar keine Rede sein. Immer gibt es doch irgendein Referat zu schreiben, was man anhand eines Stichwortzettels längst gehalten hat - und selbst der ist nicht mehr aufzutreiben, von den Inhalten ganz zu schweigen. Noch nie ist der hehre Vorsatz ' ..und morgen schreibe ich es sofort auf, dann habe ich noch alles parat' jemals verwirklicht worden. Wenn schlechtes Gewissen nach faulen Eiern röche, wäre es im Seminar wohl nicht auszuhalten. Jetzt aber habe ich DIE Entschuldigung: der Horror des Referatschreibens ist ja nur deshalb ein Horror, weil man ein halbe Stunde lang auf der Schreibmschine rumtippt, um die Seite auf der vorletzten Zeile zu verhunzen und von vorne anzufangen. Ach wenn ich doch einen Computer hätt'! Na, jetzt habe ich einen. Allerdings kann er bislang nicht mehr, als die Haustelefonrechnung in 5 Minuten erledigen, für die ich früher eine gute dreiviertel Stunde gebraucht habe. Um diese monatliche Zeitersparnis von einer halben Stunde zu erreichen, habe ich 5-6 Stunden programmiert, es wird sich also in einem Jahr amortisiert haben! Immerhinque, wie der alte Lateiner zu lästern pflegt. Nun aber beschließe ich, endlich meine ganzen Briefschulden und ausstehenden Referate zu erledigen, nachdem ich dem Compi das Schreiben beigebracht habe, kann doch nicht so schwer sein...

Leichtfertigkeit pflegen die Göttern normalerweise umgehend zu bestrafen, lautes Fluchen ebenfalls, und so bekomme ich nicht nur die normale Dosis an Nachtarbeit aufgehukt, sondern wg. beständigen Fluchens auch noch Verlängerung. Oh ja, ich habe sicher zwei oder drei Briefe geschrieben und kein einziges Referat, trotzdem dauert es bis in den Juli rein, bis 'BRIEF/TEXT 2.1' einigermaßen fertig ist. Dafür weiß ich jetzt alles über Nadeldrucker (und wenn Sie aufs TANGO-Handbuch schimpfen, dann lesen Sie mal irgendein Druckerhandbuch zur Entspannung) und ziemlich viel über den Bauch meines Maschinchens. Und daß ich, wenn es mich denn interessiert, auch Nächte durcharbeiten kann. Und daß ich einen äußerst großzügigen Professor habe. An einem sonnigen Samstag brumme ich mit dem Mofa mal wieder Richtung Mutterns Mittagstisch, da fällt mir aus den Augenwinkeln heraus ein neues Schild im alten Mönchhof ins Auge, es sieht ganz technisch aus und liest sich so: JACOM. Klingt nach Computern, ich habe noch Zeit, als nix wie rein. In dem alten Gemäuer - nach den Mönchen hauste hier eine Lederwarenhandlung - geht's erst eine Treppe rauf und dann sieht man zwischen Gummibäumen und Schreibmaschinen auch ein paar Computer herumstehen, gute deutsche Qualität, wie Triumph Adler, aber auch Kleinkram wie mein CPC. Genau der steht an prominenter Stelle ganz vorne, und ich lasse mir von einem wirklich netten und sehr beflissenen Menschen in meinem Alter seine Vorzüge erläutern.

So lerne ich Didi und Volker kennen. Volker hat eigentlich eine Kneipe und die behält er auch erstmal. Didi hat bei seinem Vater gelernt, wie man Schreib- und vor allem auch mechanische Rechenmaschinen repariert - kein Wunder, daß er weder Furcht noch Tadel kennt. Eine Rechenmaschine besteht aus mehr Teilen als ein VW-Käfer, kleine Rädchen und größere, Nockenwellen, Lagerbuchsen und vor allem kleinen, springlebendigen Federchen. Wenn nach der kompletten Zerlegung und dem Neuzusammenbau etwa eine Handvoll Teile übrigbleibt kann man von einer gelungenen Reparatur sprechen. Natürlich hat Didi auch den Umgang mit Transistoren, Dioden und Platinen gelernt. Im Gegensatz zu den Federchen behandelt man diese am besten mit den Füßen, dem rechten vorzugsweise. Zumindest wenn sich 'das G'lump' in einem mittelgroßen Schreibtisch mit der Aufschrift 'Burroughs' befindet. Die gute alte Burroughs, eins der ersten Schreibsysteme, wiegt Tonnen, wird dreimal mit umgezogen, rappelt und knattert und der Bildschirm zeigt zwar schon eine ganze DIN A4 Seite, verwürfelt aber die Zeilen manchmal recht häßlich. Wenn die beiden Diskettenlaufwerke anlaufen, hört sich das richtig gefährlich an und ein, zweimal täglich braucht sie einen Tritt. Dann schnauft sie erbärmlich, der Bildschirm schaukelt wie bei Windstärke sieben und dann geht's weiter.

Zum CPC gibt's so gut wie keine Software außer Spielen und Didi meint, daß man eine Textverarbeitung gut verkaufen können sollte, also übernimmt JACOM der Vertrieb. Für stolze 99.- DM bekommt der Kunde 'sogar griechische Buchstaben in den Fußnoten', wie Didi nie vergißt zu erwähnen und tatsächlich werden einige Doktorarbeiten damit verfasst. Das ist natürlich alles Schnee von gestern, das Abspeichern eines Kapitels von 10 Seiten Länge - mehr geht nicht in den Speicher - dauert 2 Minuten etc.pp, aber anno '85 ist es ein Wunder, daß es überhaupt geht. Immer öfter hänge ich bei JACOM rum, veranstalte einen BASIC-Kurs, berate Kunden, fahre mit den JACÖMMERn auf regionale Büromessen und die Cebit oder sitze mit am Computerstammtisch in Volkers Kneipe. Es ist ein fröhlicher Haufen und ein paar Mark zusätzlich kann ich nicht schlecht gebrauchen. Hier findet wirklich das Leben statt anstelle grauer Theorie im Institut, hier werde ich offenbar gebraucht. Meine Nächte verbringe ich jetzt nicht mehr mit Programmieren - die Version 3.0 ist fertig und hat etwa ein Dutzend zufriedene Kunden gefunden, und dabei bleibt's auch, dafür habe ich mir einen Akustikkoppler zugelegt und gehe auf Datenreisen.

Zum Beispiel treibe ich mich öfter in der nahegelegen Hakkerbox in Mannheim herum und konferiere mit dem Sysop Alexandrinus über Gott und die Welt, den ewigen Ärger mit den Sklaven und andere erbauliche Themen. Meine Telefonkosten steigen nicht schlecht, als ich Datex-P und die wunderbare Satellitenwelt entdecke und es ist schon ein erhebendes Gefühl, wenn sich nach Sekunden bangen Wartens endlich die FIRST NATIONAL BANK OF CHICAGO meldet - ab da geht's aber nicht weiter, Banken sind viel besser geschützt als z.B. das Pentagon. Irgendwann aber bin ich auch das virtuelle Gespräch mit den Hackern leid - und beschließe, sie alle einzuladen. Gesagt, getan, eines Samstags findet auf Heidelbergs Thingstätte die erste Hack'N'Roll-Fete statt. Es ist sehr erbaulich, mal die ganzen bleichen Milchgesichter hinter den oft martialischen Decknamen kennenzulernen. Natürlich wird bis tief in die fachgesimpelt, aber wir spielen auch Bumerang, bis dieser in der Dunkelheit endgültig verschwunden bleibt, lagern ums Feuer und versuchen des Fäßchens mit Bier Herr zu werden.

Bei JACOM gibt es kurze Zeit später glänzende Augen, als der erste große ATARI eintrifft. Welches Gemunkel hatte es um diesen Rechner gegeben, er sollte ein ganzes Megabyte Speicher haben, ja sogar eine Maus und einen 'schwarz auf weiß'-Bildschirm, sensationell einfach für knapp 2000.- DM. Und da steht er nun. Viel anfangen kann man nicht damit, mal mit der Maus irgendwo hinklicken, das ist schon alles. Und trotzdem - wir sind die einzigen in Heidelberg, die ihn haben! Drei Tage spä- ter steht ein recht schmuddeliger Typ im schwarzen Overall im Laden und interessiert sich für den Atari. Didi ist schon wie wild am Erklären, als ich morgens reinkomme und kurze Zeit später packt er unser vorletztes Exemplar ein, der Schmuddelheinz zieht ein paar zusammengerollte Tausender aus der Tasche, bezahlt und verschwindet. Didi grinst breit übers ganze Gesicht: Weißt Du, wer das war? Ich schüttele den Kopf. Der Chef vom Chaos Computer Club in Hamburg - kauft seinen Atari bei UNS! CCC, das war mir natürlich ein Begriff, schließlich hatte dieser Typ die Citybank ins Schwitzen und die Bundespost zum Rotieren gebracht. Und noch wochenlang muß Didi die Geschichte erzählen, wie der berühmtberüchtigte Mister X in unserer Klitsche den Atari kauft.

weiter…