Die TANGO Story, Teil 06+07

Sommer, Sonne & Champagner

Als Zugehöriger zum Stamme der 'arbeitenden Bevölkerung' habe ich natürlich auch Anspruch auf Urlaub - aber leider immer noch kein Geld: meine Tätigkeit bei JACOM erlaubt mir gerade, mich über Wasser zu halten (das ist komischerweise bis heute so geblieben). Freund Henri hat die Kohle auch nicht so dicke, dafür aber viel Sinn für Humor, das Praktische im Leben und Improvisationstalent. Außerdem ein geräumiges und wirklich sparsames Auto: einen Opel Kadett B Kombi, genannt die graue Maus.

Klappe auf, Badezeug, Jeans und T-Shirts, Zelt und Badesachen reingeworfen, Surfboard auf's Dach geschnallt und wir sind unterwegs nach Westen. Morgens irgendwo auf einer dieser endlosen französischen Alleen, mittags dann quälen wir uns durch's Zentralmassiv, aber die graue Maus gibt nicht auf. Es ist mein Turn am Steuer und ich höre mich noch sagen: 'Hör mal, immer wenn ich kuppele, dann knackt da irgendwas so komisch', als der letzte Knacks das Ende des Kupplungsseilzuges verkündet. Hollerodullijöh, im dritten Gang über Berg und Tal, ohne Kupplung? Ich schwitze nicht schlecht, als sich die erste Ortschaft ankündigt. Die einzige Ampel ist mir gnädig und mein Timing reicht gerade, um sie zu überqueren. Der nächste Ort hat gar keine Ampel und Fußgänger werden mit Horn (hört sich eher an wie eine Ziege mit Keuchhusten) und Lichthupe verscheucht. Endlich lassen wir das Gebirge hinter uns, eine größere Stadt nähert sich - und eine rote Ampel! Gottseidank ist rechts ein kleiner, wilder Parkplatz, sogar mit Hängedach aus Schilfrohr: mit einem satten Bumms poltere ich über den Bordstein und komme zum Stehen. Gegenüber ein Iipermarschee (Hypermarché), ein gigantischer Supermarkt, der auch Sams- und Sonntags geöffnet hat, wir hätten's schlimmer treffen können - denn natürlich ist Samstag nachmittag - und wir können auf keine offene Autowerkstatt hoffen. Zuerst mal besorgen wir uns Joghurt und Früchte gegenüber, dann zieht Freund Henri - ich kann leider kein Französisch - los auf der Suche nach einem Schrottplatz. Ich vertreibe mir die Zeit mit Gitarre spielen, schauen den französischen Familien beim Einkaufen zu und - beginne mich etwas zu sorgen, denn es ist schon später Nachmittag. Endlich aber kommt Henri wieder - mit einem Kupplungszug um den Hals gewickelt - und erzählt mir erst mal ausführlich von seiner Odyssee, den drei geschlossenen Schrottplätzen, dem letzten, kleinsten, völlig verrotteten, wo er in der hintersten Ecke tatsächlich einen Kadett findet, den Zug ausbaut und dafür nicht schlecht zur Kasse gebeten wird. Dann aber legen wir uns unters Auto und fummeln den Zug wieder rein - eins von den Geduldspielen, bei denen man vor Wut Tränen in die Augen bekommt.

Es wird nicht unsere letzte Wut bei den gallischen Nachbarn sein, aber zunächst mal sind wir wieder flott und reisen weiter. An den Atlantik wollen wir und surfen! Unterwegs übernachten wir auf Bauernhöfen - mit Zelt natürlich. Eine nützliche, angenehme Einrichtung, das 'Camping à la fèrme', die man quer durch ganz Frankreich findet, nicht so teuer, nicht so überlaufen, nicht so offiziell, französischer Charme halt....

... der der Atlantikregion allerdings völlig abgeht: total überlaufen, Abzocke, Touristenrummel, wir sind schokkiert. Unser Abendessen, 1 Spiegelei, dreizehn kümmerliche Pommes frites und eine gevierteilte Minitomate, die als Tomatensalat firmiert, kostet unverschämte 66 FF, fast 25.- DM für JEDEN, dafür bekäme man bei uns..., ach egal, nix wie weg hier.

Einen Tag später durchqueren wir das Baskenland, das so aussieht, wie sich NichtRuhrpötter eben denselben vorzustellen belieben: grau und häßlich. Und gondeln dann in der Nachtmittagssonne an der grünsten Küste Spaniens entlang. Bei Ribadisella verlassen wir die gut ausgebaute Straße nach Gijon, die sich jetzt etwas landeinwärts windet und nehmen das alte Küstensträßchen. Auch hier, wie schon vorher, Steilküste und die ein oder andere malerische Bucht, aber leider: nur offizielle Campingplätze - und dafür ist Freund Henri gar nicht zu haben. Wir passieren einen alten Steinbruch, da zeigt linker Hand ein windschiefer Wegweiser direkt in den Boden vor sich: Playa de Vega steht handschriftlich darauf. Und schon hoppelt die graue Maus durch ein kleines Tal mit subtropischer Vegetation - das sich weit öffnet und einen grandiosen Blick auf eine große Bucht freigibt. Auf den Strand hinter den Dünen donnert der Atlantik, es sind ein paar Zelte zu sehen und zwei, drei Häuser, nein, zwei Kneipen und ein Laden. Das ist es, wir haben unser Urlaubsparadies erreicht.

Bald flattert unser Zelt zwischen den Dünen, in einer kleinen offenen Hütte hinter den Dünen steht ein riesiger Sandsteintrog, vom Bach durchflossen, wo wir uns morgens waschen, tagsüber kämpfen wir mit der Brandung und abends mit den riesigen Portionen Thunfischsteak, frisch natürlich. Mit Fischsuppe vorneweg und einer Flasche Rijocha dazu, reicht ein Zehner für uns beide - und der Wein ist so schwer, daß auch der für zwei Räusche ausreicht. Oh, ja, hier fängt die Reise richtig an und ab sofort werden wir nur noch schlemmen ....

Nach zehn Tagen aber hat auch Playa de Vega seine Reize verströmt, uns steht der Sinn nach weniger wildem Meer und mehr Gesellschaft, weiblicher vorzugsweise. Eines abends also satteln wir die graue Maus und begeben uns auf eine märchenhafte Vollmondfahrt mitten durch Spanien. Im Tageslicht könnten die Täler mit den sich wiegenden Bäumen nicht romantischer sein, der Mond glitzert in den Bächen und bescheint Pässe und weite, wilde Ebenen, ein Traum aus tausend- und einer Nacht. Mittags dann haben uns die Sonne und der Tourismus wieder: die Mittelmeerküste ist auf einer Länge von tausendreihundertfündfundachtzig Kilometern mit braungebrutzelten teutonischen Ölsardinen eingezäunt. Dicht an dicht, dazischen die unvermeidlich kreischenden Kinder, Sonnenglast und kein Lufthauch, wir wünschen uns nach Vega zurück, aber pronto!

Stattdessen finden wir an der Grenze zu Frankreich, nein, auf französischer Seite wiederum am Ende eines kleinen, schilfbestandenen Tales jene kleine, nette Bucht mit dem pinienbestandenen MiniCampingplatz - und schlagen wieder unser Zelt auf. Von hier aus erkunden wir abends das Hinterland, verzehren die vorzüglichen Touristenmenüs, die hier selten mehr als 30 FF pro Person kosten, weniger als die Hälfte dessen, was an der Küste verlangt wird, und beschäftigen uns tagsüber mit dem Surfboard. Ach, der Aufenthalt neigt sich dem Ende zu und weder Henri noch mir ist es gelungen, mit dieser hübschen Belgierin auch nur den geringsten Kontakt zu knüpfen. Aber heute abend ist Fete angesagt - und wirklich, der offene Pavillon wird mit Girlanden und bunten Lampen geschmückt, Fässer herangerollt, Musikboxen aufgestellt und als es dunkel ist, versammelt sich auch wirklich das Volk zum Lachen, Trinken und Tanzen. Und flirten. Daß Henri nun plötzlich den Übersetzer spielen muß und ich erst im Morgengrauen ins Zelt zurückkomme, hat er mir bis heute nicht verziehen (und ich mir meine mangelnden Sprachkenntnisse nicht, irgendwann lern' ich auch noch Französisch).

Neuseeland, die zwoote

Zurück in Heidelberg geht das Leben seinen gewohnten Gang. Morgens in die Uni, nachmittags bei JACOM, Computer verkaufen, abends in die Kneipe, ins Kino, kochen für Freunde und Freundinnen (die dem üblichen Wechsel unterliegen, ich halte mich da an den Zeitgeist), so plätschert das Leben dahin und auf den Magister zu. MAGISTER? Ogottogott! Die Kommilitonen meines Jahrgangs haben den ihren schon in der Tasche und mir fehlen noch drei Scheine! Da treffe ich einen in der Mensa und der klagt mir sein Leid von der Arbeitssuche. Fragt mich nach einem Job, ich hätte doch immer welche? Und ein anderer erklärt verschämt, er lasse sich jetzt auf Kosten des Arbeitsamtes in Frankfurt zum Organisationsprogrammierer ausbilden! Und Didi liegt mir in den Ohren, ob ich nicht ganztags bei JACOM..? Die arbeitslosen Soziologen vor Augen fällt es mir nicht schwer, ja zu sagen. Also jetzt halt schon um 10 bei JACOM - ansonsten ändert sich an meiner studentischen Lebensweise eigentlich nichts. Immer noch fahre ich Mofa. Immer noch wohne ich in einer alten Fischerhütte unterm Dach - das es allerdings jetzt auszubauen gilt: die Soziologie hat mir einen Untermieter beschert in Gestalt eines New Yorker Soziologen, mit glänzenden Deutschkenntnissen und dem unbezähmbaren Wunsch, sich den Blick auf die berühmte Alte Brücke zu 'erarbeiten'. Drei lange Monate kämpfen wir mit altem Gerümpel, Staub, Verlegeplatten, schiefen Dachsparren, Styropordämmung, PU- Schaum und Nut+Feder-Brettern, dann ist meine Wohnung um ein schönes Zimmer größer. Und jetzt beginnt ein fröhliches Junggesellenleben, wir kochen und lachen zusammen und lassen es uns gut gehen. Und nach langen Monaten ist unter den diversen Weiblichkeiten, die wir mit unseren Kochkünsten zu umgarnen suchen, auch endlich die eine für meinen Obermieter dabei. Jetzt wird es manchmal ein bißchen eng, für drei oder gar vier ist die Bude einfach zu klein.

Und außerdem habe ich ja noch einen Traum: Habe ich mir nicht damals in Neuseeland geschworen, wieder zu kommen? Nachdem ich was anständiges gelernt habe, natürlich. Und das habe ich doch inzwischen: Ziemlich viel Soziologie und eine ganze Menge über PC's, keinen Abschluß, klar, aber das sehen die sicher nicht so eng...

Mein Traumland: Schon als kleiner Junge wollte ich da hin. Irgendwann mal, nachdem ich gerade mal wieder mit dem Drillbohrer durch das Brettchen ein Loch ins Linoleum gebohrt hatte, kam mir die Frage, wo ich wohl ankäme, würde ich weiterbohren? Na, im Wohnzimmer natürlich. Und dann? In der Werkstatt im Keller. Und dann durch die roten Ziegel in die Erde. UND DANN? Dierckes Weltatlas half mir weiter: ein paar hundert Kilometer von der Küste Neuseelands entfernt in der Tasmanischen See. Und mit 25 endlich hatte ich meinen Traum verwirklicht, ab ins unbekannte Abenteuer. Vom schönsten Ende der Welt sprach damals noch niemand, das Land der langen weißen Wolke war weithin unbekannt. Nach fünf wunderbaren Monaten dort allerdings mir nicht mehr, vom Cape Reinga im Norden bis Stuart Island im kalten Süden hatte ich das Land durchstreift, war fast überall gewesen - und hatte fest beschlossen, wieder zu kommen. Wann also, wenn nicht jetzt? Und so packte ich mal wieder den alten Rucksack, sagte JACOM und der Fischergasse ahoi und begab mich auf den fürchterlichen Flug. 30 Stunden in diesen dröhnenden Blechröhren ist eine angemessene Strafe, die die Götter vor das Erreichen des Paradieses gesetzt haben. Wie hatte ich doch in den Monaten vorher getönt: ich bleib dort, ich such' mir da 'n Job und 'ne Frau! Und vor allem mit dem zweiten Teil des Spruchs meine langjährige Ex trotz längst vollzogener endgültiger Trennung nochmal ordentlich geärgert. Also hatte ich alles, was ich so an Arbeitszeugnissen vorweisen konnte, im Rucksack. Kaum in Auckland gelandet, begann ich auch gleich mit der Jobsuche, aber es war Dezember und damit viel zu kurz vor den Sommerferien, also ging ich auch erst mal wieder auf die Walz.

Aber es war nicht wieder wie sieben Jahre zuvor: der Massentourismus war inzwischen voll über das schönste Ende der Welt eingebrochen. Damals waren am Tag ganze drei Busse über die majestätitsche NintyMile-Beach gedonnert, ein Küstenstreifen, nicht 90 Meilen, aber immerhin 91 Kilometer lang Sandstrand pur und tosende Brandung, kein Haus, geschweige denn Hotel, keine Straße, nichts. Befahrbar natürlich nur während der Ebbe, Hin- oder Rückweg, je nach Mondphase geht über's Cape Reinga und die Straße im Landesinnern. Und jetzt sind es immer drei Busse am Stück, die da fahren, am Cape wälzen sich die Besuchermassen zum Leuchtturm, schrecklich. In der malerischen Bay of Islands mit den über 150 vorgelagerten Inseln und Inselchen absolvieren Tragflächenboote den historischen Mail-Run (der auch Cream-Run genannt wird: die Farmer in den einsamen Buchten und die Familien draußen am Leuchtturm bekamen ihre Post und die Milch per Schiff - und die einzelnen verirrten Reisenden durften für ein paar Dollar durch Schären und Fjorde mitkreuzen, der Käpt'n höchstpersönlich drückte einem alten Bekannten das Steuer in die Hand, verschwand in der Kombüse und servierte einige Augenblicke später den unvermeidlichen Tee und Kekse dazu) in einer kanppen halben Stunde; früher lief hier ein Kutter einmal am Tag aus und die Fahrt dauerte Stunden.

Ein wunderbares Fleckchen allerdings hatte ich bei meinem ersten Rundtrip ausgelassen: eine knappe Stunde Fährbootfahrt vor Auckland liegt Waiheke Island, ein Paradies für Hippies, Aussteiger, Körner- und Müslifreaks, Künstler und Kunsthandwerker und Leute, die von der Großstadt genug haben, sie aber doch nicht missen wollen - diesselben allerdings werden wohl inzwischen die Tragflü- gelverbindung durchgesetzt haben, die schon damals im Gespräch war und mit der beschaulichen Ruhe von Waiheke ist es sicher heute auch vorbei. Aber damals konnte man noch fast allein in den kleinen Buchten planschen, die kräftige, aber nicht wie heute ozonlochverstärkte, Sonne genießen und den Tag vorbeiziehen lassen. In Tom's private hostel ging es recht locker zu, einmal in der Woche gab es Muscheln satt, des nachts wurde am Lagefeuer geschwätzt und gesungen, kein Wunder, daß ich mich hier wohl fühlte. Die Jobsuche im Januar betrieb ich schon nicht nicht mehr so enthusiastisch wie gedacht, zu vieles sah mit ein paar Jahren Abstand nicht mehr gar so verlockend und paradiesisch aus. Und der Job, den ich hätte haben können, wäre ausgerechnet eine Stelle bei Nixdorf gewesen. Woraufhin ich beschloß, den Rest meiner Reise mit Faulenzen auf Waiheke zu verbringen und schon im März wieder heimzukehren. Und da war doch noch etwas gewesen, was ich hatte suchen wollen? Und sozusagen im letzten Moment dann auch fand - zwei Tage vor ihrer Rückreise nach: Freiburg. Was mir einen weiteren Grund gab, nach Deutschland heimzukehren - wo ja, außer ihr, schon eine süße Wohnung und ein guter Job noch immer auf mich warteten...

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