Martinique, Grenada und retour...

Auf dem Pariser Flughafen, der geformt ist wie zwei Nasen des Herrn, nach dem er benannt ist, treffe ich zwei andere Mitsegler - so haben wir im Flugzeug was zu schwätzen.

Die Flug ist vor allem deshalb so lang, weil es nix zu Essen gibt! Ho, soll noch jemand sagen, die Schotten wären geizig, unsere gallischen Nachbarn stehen nicht nach! Des Rätsels Lösung: ParisMartinique ist ein Inlandsflug! Und deshalb gibt's nix zu essen. Dafür ist es in Martinique schon reichlich dunkel, typisch Tropen halt, und ziemlich warm isses auch.

Mit einem Taxi gelangen wir im creolischen Stil in halsbrecherischer Geschwindigkeit zu unserem Zielhafen. Jetzt müssen wir nur noch das richtige Schiff finden! Die Guitarre gibt den Ausschlag - in der Dunkelheit hat man sie vom Boot aus zwischen den über den Bootssteg schwankenden Gestalten ausgemacht und ruft uns herbei.

Nun gibt's erstmal was zu trinken und zu knabbern, wir werden später - es ist erst 9 Uhr abends, noch essen gehen.

Zu siebt werden wir sein, der nette Skipper und seine Freundin, ein älterer Soziologe, ein etwas wunderlicher und egoistischer Ingenieur und noch zwei eher blasse Figuren. So rechte Stimmung will nicht aufkommen, naja, wird vielleicht noch...

Zum Essen landen wir dann bei einem Chinesen! Da fährt man nun in die Karibik, um zum Chinesen essen zu gehen. Wie üblich, ist der Raum niedrig und eher dunkel, und das bei locker 30 Grad und viiiel Luftfeuchtigkeit - und wir hätten irgendwo draussen sitzen können, wo ein Lüftchen weht, naja...

Am nächsten Tag stellt sich dann heraus, daß wir noch einen Passagier bekommen, der sich, laut Skipper, um die Reinigung des Schiffs bemüht hat und deshalb umsonst mit darf. Wenn's denn nun ein netter gewesen wäre. Aber leider ist er mit Überzeugung Soldat gewesen, hält grosse Stücke auf sein Aussehen und erzählt mit Vorliebe beim Frühstück von Granaten, und wie leistungsfähig die deutsche Militärtechnik, und wenn damals... Es ist nicht zum Aushalten. Er krümmt keinen Finger an Bord, geht nicht mit Essen (zu teuer) und macht sich stattdessen über unsere Vorräte her, läßt sein Geschirr liegen und stehen und nervt mit seinem unsäglich dummen Gebrabbel. Nach einigen Tagen ist die Stimziemlich auf dem Nullpunkt - und da bleibt sie auch. Es ist eng auf dem Kahn, die Inseln sehen alle recht ähnlich aus, das Segeln könnte auch ein Autopilot übernehmen, denn es geht immer nur auf Halbwindkurs geradeaus bei Windstärke 3,5 zwischen und 3 vor den Inseln. Und zudem - und das sieht man auf den bunten Prospekten nicht - ist es immer gleichmäßig feuchtwarm. Ob's nun mal kurz regnet, man schwimmen geht, ob Tag oder Nacht, zu Wasser, in der Koje und an Land, immer ist es feuchtwarm.

Aber natürlich sind da auch Situationen, in der die Natur sich von der besten Seite zeigt und die überwältigenden Buchten im Abendsonneglanz alle Konflikte übertönen. Der Sundowner mit feinstem Rum tut ein übriges und hilft, diese unglückliche Situation halbwegs zu überstehen. Bequia - gesprochen 'Beckway' ist eine solche Perle und hier gehen wir afro-creolisch essen, ein Erlebnis mit 11 Gängen. Ich wollte, ich könnte noch aufzählen, was das alles war, aber manchmal wollten wir es auch garnicht so genau wissen, was Mama Cass uns da so aufgetischt hat. Gut war's jedenfalls und krank wurde auch keiner. Auch nicht von dem Downer, den wir nachher noch an einer Bretterbude in karibischer Finsternis zu uns nehmen.

In Grenada müssen wir natürlich, wie alle Touristen, die Zitadelle besichtigen, um die bei der 'Invasion' so heroisch gekämpft worden war. Auf einem Buschflugplatz weit weg auf der anderen Seite der Insel können wir auf einem zerschossenen russischen Antonov-Transportflugzeug herumturnen, es sieht alles sehr nach Hollywood-Kullisse aus.

Der Rückweg verläuft mehr oder minder ruhig, in diese Gruppe ist kein Leben reinzukriegen, da hilft auch die Guitarre nichts. Der letzte Tag auf Martinique ist quälend und im Flugzeug setzt sich dann jeder woanders hin.

Die Karibik kann vielleicht gar nichts dafür, aber mein Bedarf ist vorläufig gedeckt. Warm ist es in Italien auch, aber nicht so feucht, man kriegt überall wunderbar zu essen, muß nicht fliegen, und nach drei Tagen Karibik sehen Palmen sowieso nur noch wie Palmen aus.

Also komme ich äußerlich gut erholt, aber innerlich leer nach Karlsruhe zurück - und zurück in meinen persönlichen Schlammassel: eine Stadt, die mich nicht und die ich nicht will.

Aber zunächst mal gibt's mit meinem LIMS natürlich alle Hände voll zu tun...

Der 3. Schwur

Der Briefkasten quillt und der Schreibtisch auch. LIMS hat meinen Urlaub in der Karibik gut überstanden, aber natürlich haben die Anwender schon jetzt tausend Wünsche. Die nächsten Monate verbringe ich damit, kleinere Wünsche gleich zu erfüllen und größere so zu bündeln, daß dann nochmal ein Auftrag daraus werden kann, schließlich haben wir noch keine müde Mark verdient, sondern nur die Verluste begrenzt. Was aber ausgereicht hat, mich zum Projektleiter zu befördern und mir einen gewissen Nimbus zu verleihen - Todgeweihte leben halt länger.

Die Stadt will mich immer noch nicht und ich sie auch nicht. Ein wenig Befriedigung ziehe ich aus der Tatsache, daß alle 'schwierigen' Fälle von Kundenbetreuung von nun an bei mir landen. Manchmal komme ich mir vor wie die zentrale Klagemauer der ADI.

Die Sekretärin nebenan - die Böros sind alle verglast und meistens stehen die Türen offen - hält den Telefonhörer zu und ruft zu Michael Lüdersrüber: 'Der Herr Trebbin ist dran..', woraufhin der nur mit den Augen rollt und sich die Ohren zuhält. Von hinten kommt Ottmar's Stimme: 'Wenn's der Trebbin ist, ich bin nicht da!'. Und August verzieht nur eine Augenbraue - den Chefentwickler würde man auch damit nicht belangen.

Also landet der Herr Trebbin bei mir und weint sich erst mal aus über den schrecklichen AdiTALK, der nie das tut, was er soll. Ich laß' ihn reden, und als er dann einen Befehl nennt, der regelmäßig zu Fehlern führt (ich kenn das, hab' mich selbst schon damit rumgeärgert), hake ich ein und sage: 'NICHT benutzen!' 'Ja, aber...' stottert sichtlich verdutzt der gute Trebbin, 'steht doch im Handbuch?'. 'Ach Gott', lache ich, 'das Handbuch. Wer glaubt denn ans Handbuch? Die Software hat Macken, das ist nicht zu ändern, und ich sage Ihnen jetzt, wie Sie den Befehl umgehen können und Ärger vermeiden.' Nach einer dreiviertel Stunde ist der arme Trebbin von soviel ungewohnter Offenheit immer noch verwirrt, aber trotzdem hochzufrieden. Man hat ihn angehört - und geholfen hat man ihm auch!

Und so ist es nur verständlich, daß auch die nächsten Anrufer mit TALK-Problemen bei mir landen. Zwischendurch bin ich immer wieder bei unserem Großkunden, aber LIMS scheint stabil zu laufen. Plötzlich ist Leerlauf. Ich schwätze mich kaffeetrinkend durch's Haus, lese Fachzeitschriften, komme gegen halb zehn, und wenn das Wetter schön ist - und das ist allzu oft der Fall, fahre ich gegen zwölf mit dem Auto um die Ecke auf eine Wiese, lasse die Türen auf und die Musik an und lege mich ab zum Sonnenbad. Von halb drei bis halb fünf versuche ich im Büro den Anschein von Arbeit zu erwecken, bevor ich mich in meine kleine Altstadtwohnung flüchte, um dort auf dem Fensterbrett im Abendsonnenschein eine einsame Flasche italienischen Weißweines zu leeren. Nein, das ist das Leben nicht, das ich mir vorgestellt hatte.

Abwechslungen sind immer Schulungen, die ich halten darf und Kundenbesuche. Gerade hat Molli wieder zwei Tage TALK- Schulung verkauft, einen fest und einen mit Option, nach Aschaffenburg. TALK-Probleme können mich jetzt nicht mehr schocken und deshalb greife ich mir nur eines Morgens die Adresse und düse nach Aschaffenburg.

Ein freundlicher, großer, leicht gebeugter Mensch im bequemene Pullover öffnet mir die Tür und führt mich in sein Souterrain-Büro. Die Äuglein hinter den großen Brillenglä- sern blinzeln wachsam als er mir sein Problem erläutert. Ich sehe eine Atari-Computer und eine typische TALK- Eingabemaske. 'Titel' steht da, und 'Autor' und noch eine ganze Menge anderer Felder sind auf der Maske verteilt und verwirren mich schon beim Hinsehen. 'Das Problem', sagt Michael Schell (den Sie auch als den Vater von Booky kennen), 'liegt hier, im ISBN- Feld!'. Ich habe noch nie von einer ISBN gehört und lausche geduldig. 'Prüfziffer' klingelt es in meinen Ohren, und als Mister Booky dann noch erläutert, die Prüfziffer könne Null bis Neun, aber auch schon mal ein X sein, verschmimmt alles, was mir bis dahin logisch erschien. X eine Ziffer? Was für eine seltsame Branche, dieser Buchhandel. Nach ein paar Stunden haben wir dann auch dieses Problem so gelöst, daß Herr Schell auf den zweiten Tag Schulung verzichten kann und ich fahre zufrieden nach Hause. 'Was es nicht alles gibt auf der Welt. Eine Ziffer, die auch ein X sein kann, seltsam, seltsam...' denke ich, während mein schöner roter BMW die Kilometer unter sich durchlaufen läßt. Heute werde ich, GottseiDank, mal wieder in Heidelberg übernachten. Da ist wenigsten abends was los, da gehe ich um die Ecke und stehe im Bistro mitten im Trubel, statt in der Durlacher Altstadt meine Einsamkeit mit billigem Supermarktweißwein wegzuspülen. Darmstadt, Bensheim, Weinheim, Schriesheim... ich werde immer wohlgemuther. 'Und das sage ich Dir:', sage ich, das Motorbrummen übertö- nend laut selbst zu mir, 'eins ist klar: was auch immer Du in Zukunft machst, mit einer Branche, die einen Buchstaben mit einer Ziffer verwechselt, werde ich nie wieder was zu tun haben. Der Buchhandel kann mir gestohlen bleiben!'.

Ach, heilige Schwüre der Jugend, 3 Jahre später schon sollte ich zu meiner Verwunderung nicht nur selbst auf der Buchmesse stehen, sondern auch einen ehemaligen ADI-Kollegen zum Nachbarn und meinen 'Schü- ler' Michael Schell zum Konkurrenten haben. Tempora mutantur...

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